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Die Laute (German Edition)

Die Laute (German Edition)

Titel: Die Laute (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Roes
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Bahn, flach, geduckt in ihrer Flucht
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    Die Häuser verschwimmen, die Laternen und Strommasten bilden schraffierte Flächen ohne klare Begrenzung
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    Ich fühle mich stark und schwach zugleich, rase diesen Hang hinab und sitze doch still auf meinem Gestänge
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    Bevor der bewohnte Teil der Straße beginnt und sie nicht mehr
ulica Salwator,
Erlöserstraße, sondern
aleja Jezego Waszyngtona,
George-Washington-Allee heißt, geht es sogar ein wenig bergauf, sodass ich in die Pedalen treten muss und mich für einen kurzen Augenblick als Herr meiner Fortbewegung fühlen darf
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    Auf beiden Seiten der Allee nun die alten Krakauer Villen, rote Ziegeldächer, weinberankte Fassaden, große, vernachlässigte Gärten in Hanglage, mit Blick auf das Weichseltal im Süden oder die Błonia-Wiesen im Norden. Die Straße noch löchriger als entlang der Friedhofsmauer, vielleicht der Temperaturunterschiede wegen, am Fahrbahnrand die braunkohlegeheizten Häuser und dazwischen der eiskalte asphaltsprengende Frost
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    Diese Stadt hat mich aufgenommen, ja, eine Stadt in der Mitte Europas, Gesten wie fallendes Herbstlaub, die Altstadt ein gigantisches Schlüsselloch, der Grüngürtel, wo ehemals die Stadtmauer stand, pelzig wie der von tränenden Augen schimmelige Lochrand
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    Den Wind nicht zu hören, befreit mich davon, poetisch zu sein. Umgeben von einer so schönen Landschaft spürt man die eigene Unzulänglichkeit umso mehr. Ich stelle mir vor, wie mein Missmut mir vorangeht und mir den Weg freiräumt, damit ich ungehindert mit mir allein sein kann
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    Sie hat mich aufgenommen, aber Gastfreundschaft gehört nicht zu ihren hervorstechenden Tugenden. Allein aus anthropologischer Neugier hätte ich gerne gewusst, wie man darin wohnt. Wie jeder junge Mann, der Cooper gelesen hat, war ich voller Abenteuerlust, mir den Wilden Westen, den man hier Osten nennt, zu erobern. Was klang nicht alles bei dem Wort Europa mit! Freiheit, Ungebundenheit, Abenteuer, Reichtum, Ruhm, und Sex natürlich. Alle beneideten mich, wünschten mir Glück, auch wenn sie von einem Land namens Polen noch nie gehört hatten
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    In der ganzen Menschheitsgeschichte sind die Utopien Reiseberichte; beginnen oder enden mit dem Stranden an irgendeiner Insel der Seligen, Nova Atlantis, Nova Scotia, Nowa Huta. Doch niemand ist je von dort zurückgekehrt und hat uns wahrhaft darüber berichtet. Im Übrigen glaube ich ohnehin nicht, dass es an irgendeinem Ort mehr Wahrheit oder tiefere Erkenntnis gibt als an einem anderen Ort. Nicht einmal im Paradies. Ja, vor allem nicht im Paradies!
    Die geparkten Autos staubgrau wie hartgewordener Honig, die schorfige Rinde der Alleebäume, Herzen aus Teer, der kariöse Asphalt. Schöne Dinge sind flüchtig. Farben, gelb und violett, tragen nur die Grabfrauen in ihren Armen
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    Plötzlich geht es steil bergab. Sehr steil. Und nach wenigen Metern löst mörderisches Kopfsteinpflaster die löchrige Teerdecke ab. Von nun an ist es unmöglich, den Unebenheiten des Weges weiter auszuweichen
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19
    Asis hasst Aden vom ersten Augenblick seiner Ankunft an. Trotz des Meeres ist es ein verschlossener, ummauerter Ort. Die Altstadt liegt auf dem Grund eines erloschenen Vulkans.
    Alles wirkt verbrannt, und ist es auch wohl, erkaltete Lava, die sich rund um die Altstadt auftürmt, und aus diesem aschgrauen Tuff sind auch die Häuser erbaut. In Ibb konnte er weit ins Tal hinabsehen. In Aden endet jede Straße am Kraterrand. Asis kommt sich vor wie auf dem Mars.
    Selbst die Menschen sind dunkler als in Ibb, weiße Sonne, schwarze Gesichter, irgendwo im Staub liegen gelassen und vergessen.
    Afrikaner mit nackten Oberkörpern teeren die Straßen und bewässern die Bäume, die ihnen gerade bis zur Hüfte reichen. Afrikanische Flüchtlinge von jenseits des Golfs waschen die Autos, ihre verschleierten Frauen mit je zwei Säuglingen auf den Armen betteln an den Straßenkreuzungen. Die Adener sitzen im Schatten ihrer rohen Häuser, die Backen prall gefüllt mit Qat. Aden am frühen Nachmittag.
    Das Sammeltaxi kommt nur stockend voran. Asis hat viel Zeit, aus dem Fenster zu schauen. Sie reden hier lauter als in Ibb, rufen von einer Straßenseite zur anderen, ungeachtet aller anderen, die mithören können, mithören müssen. Asis sieht es an ihren geröteten Gesichtern und dem sprühenden Speichel, der ihre Reden begleitet. Überall in den Geschäften drehen sich die Ventilatoren, die einzige Bewegung in den dämmrigen Innenräumen. Niemand ist auf der Straße, der es

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