Die Laute (German Edition)
Erektion, ärgert sich darüber, dass ein weiterer Körperteil seiner Kontrolle entgleitet. Er wagt nicht, sich zu bewegen und so erst recht die Aufmerksamkeit des Zimmergenossen auf sich zu lenken. Er kennt doch zu gut die Witze, die sie übereinander rissen, wenn sie dergleichen Regungen unter der Schulbank an einander entdeckten. Er befürchtet, jede Bewegung könnte ein unüberhörbares Geräusch erzeugen. Taubheit bedeutet keine entspannte Stille, sondern tiefste Beunruhigung, was der andere von einem wahrnehmen mag, das man selbst nicht hört.
Gerade wenn man einschlafen will, ist es am schwierigsten. Dabei fühlt er sich nach diesem Tag der Reise und des mehrfachen Erbrechens todmüde. Doch wenn er die Augen schließt, beginnt das Bett zu schlingern, als rase er eine enge, serpentinenreiche Straße hinab. Er versucht, an etwas Angenehmes zu denken. Aber alles Angenehme liegt in unerreichbarer Ferne, das Fußballspielen, die Freunde, die Musik. War das je ein Teil von ihm? Schmerzhaft spürt er jeden einzelnen Knochen seiner Hände.
Gerade noch grübelt man nach, warum man keinen Schlaf findet. Dann wacht man plötzlich auf und wundert sich, dass man am Ende doch eingeschlafen ist. Ja, man kann nicht einmal genau sagen, was das überhaupt ist: einschlafen!, denkt er, denn niemand hat sich je beim Einschlafen beobachten können. Genauso wenig wie beim Sterben. Wenn man den entscheidenden Schritt getan hat, ist das Bewusstsein dafür bereits verloren.
Es ist mitten in der Nacht, als er aufwacht. Oder aufgeweckt wird. Er spürt einen warmen schweren Körper an seinem Rücken. Hat Said seine Anwesenheit vergessen? Hat er sich von seinen virtuellen Kämpfen übermüdet im Bett geirrt? Oder ist etwas vorgefallen, an das Asis sich nicht erinnern kann? Hat er womöglich im Schlaf gesprochen? Asis schämt sich, ohne zu wissen wofür.
Said liegt auf der Seite, seinen linken Arm um ihn geschlungen. Asis spürt Saids ruhigen Atem in seinem Nacken und die fremde Hand, die ihm die Finger abhacken will, wenn sie auch nur einmal an die Computertastatur tippen, entspannt auf seinem Bauch.
Einen Augenblick zweifelt Asis, ob Said wirklich schläft. Doch dann löst er sich aus der verstörenden Umarmung und steht auf. Er streift sich eine von Saids Trainingshosen über und legt sich auf den harten Boden.
Es ist noch zu früh, um endgültig aufzustehen. Er sieht das fahle Mondlicht durch das Fenster ins Zimmer dringen. Und wenn Said nicht zu ihm ins Bett geschlüpft ist, weil er Trost suchte, sondern um zu trösten? Entschieden verwirft Asis diesen Gedanken. Tröstlich erscheint ihm im Augenblick allein die Kühle und Härte des Zements in seinem Rücken.
21
Er wacht auf, als das graue Licht des Tages durch das Fenster auf ihn niedernieselt. Er liegt auf dem harten Zementboden und braucht eine Weile, um zu verstehen, wie er dort hingelangt ist. Sein Bett ist leer. Said liegt unter seinem Laken verborgen auf der Matratze in der gegenüberliegenden Zimmerecke, unmittelbar neben seinem schlummernden Computer.
In Ibb begannen die Tage immer mit klarem Himmel. Erst am späten Vormittag bildete die zunehmende Hitze einen milchigen Dunst, ballte sich zu Wolken, staute sich am Dschabal at-Ta’kar und regnete sich am Nachmittag aus. Der Abendhimmel war wieder so klar wie der Morgenhimmel.
In Aden beginnen die Tage trüb wie in einer Waschküche. Nichts deutet auf einen sonnigen Tag hin. Das Atmen fällt schwer, man hofft auf einen befreienden Regen, der nie kommt, am liebsten bliebe er einfach liegen. Warum soll er auch aufstehen? Nichts erwartet ihn an diesem Tag. Nicht einmal Hunger hat er.
Schließlich ist es seine unterkühlte Blase, die ihn aufzustehen zwingt. Wo war noch einmal das Bad? Mit einer Hand hält er die Trainingshose fest, damit sie nicht herunterrutscht. Das Gummiband ist ausgeleiert, vermutlich hat Said schon seit ewigen Zeiten nicht mehr in ihr trainiert.
Barfuß tappt Asis über den kalten Fliesenboden des Flurs. Im Badezimmer roch es nach Zimt und Zitrone, erinnert er sich. Also folgt er seiner Nase und findet auf Anhieb die richtige Tür wieder. Befremdet schaut er auf den halbnackten jungen Mann im Spiegel. Bis auf den kleinen Rasierspiegel seines Vaters gab es in der elterlichen Wohnung keine Spiegel. Er wäscht sich das Gesicht. Nein, zu rasieren gibt es darin immer noch nicht viel. Aber das dichte schwarze Haar unter den Armen und der dünne Haarstrich vom Nabel herunter bis zum ausgeleierten
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