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Die Laute (German Edition)

Die Laute (German Edition)

Titel: Die Laute (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Roes
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beim besten Willen nicht erkennen kann, was sie nun noch von mir wollen. Der Mann vor mir, der mit den vollgekotzten Schuhen, tastet nun die Taschen meiner Anzugsjacke ab.
    Autoscheinwerfer vom Parkplatz der Villa leuchten auf, strahlen hierher bis in den Park. Ich befreie mich von den Händen des Polizisten und taste nun selbst nach meiner Geldbörse und meinen Papieren. Doch die Taschen sind leer. Nur mein Wohnungsschlüssel ist noch da. Ich mache dem Mageren ein Zeichen, er solle bitte auf die Erde leuchten, bis auf eine leere Weinflasche mit abgebrochenem Hals, zusammengeknüllten Papiertaschentüchern, gebrauchten Kondomen und meinem Erbrochenen aber ist der Platz unter und um meiner Bank leer. Der Schwarzbehaarte gibt seinem Kollegen die Lampe zurück und zündet sich eine neue Zigarette an. Der Herrische fordert mich mit einer unmissverständlichen Geste auf, von der Bank aufzustehen und mit ihnen zu kommen.
    Als ich mich aufrichten will, wird mir erneut schwarz vor Augen. Und ein weiterer Sprengsatz explodiert in meinem Kopf, ein perfider Trick des Bombenlegers, damit auch noch die herbeigeeilten Retter in den Tod zu reißen. Der Anfang des letzten Aktes. Apollons Handlanger knüpfen Marsyas kopfunter an die kräftigen Zweige einer Silberpappel, reißen ihm den Schwalbenschwanz vom Leib und stopfen ihm eine Ladung Semtex in den Arsch.
    Ich bleibe sitzen und taste meine Schädeldecke ab, doch finde keine äußere Wunde. Nun greifen die beiden Uniformierten zu, der eine links, der andere rechts, mit den Fingerspitzen grob in die Achseln, ein äußerst schmerzhafter Griff, der ihnen in der Ausbildung antrainiert worden sein muss, denn beide beherrschen ihn gleichermaßen gut.
    Jetzt ist eigentlich der Zeitpunkt gekommen, meine Taubstummennummer abzuziehen. In der Regel funktioniert sie gerade in komplizierten Situationen ausgezeichnet, vor allem wenn man seinen Schwerbehindertenausweis vorlegen kann. Das Gegenüber ist verunsichert, weiß nicht, wie es sich verständlich machen soll und gibt am Ende meistens auf. – Ich mache die üblichen Gebärden, weise auf Ohren und Mund und schüttle den Kopf. Die Uhr des Nichtrauchers zeigt auf kurz nach zwei. Weiß der Teufel, was die beiden um diese Zeit hier zu suchen haben. Der Parkplatz vor der Villa ist fast leer, der Empfang muss längst zu Ende sein.
    Die beiden Ordnungshüter scheinen von meinen Gebärden gänzlich unbeeindruckt. Sie nicken zwar, als hätten sie verstanden, was ich ihnen mitzuteilen versuchte, zerren aber weiter an meinem Arm, und das sicher nicht, um mich vor dem ersten Nachtfrost in diesem Herbst zu schützen.
    Überraschend lässt der Druck ein wenig nach. Ich folge dem Blick des Hohlwangigen, habe niemanden sich nähern gespürt. Aber dort steht er plötzlich, muss sich wie ein Delaware herangepirscht haben, überschaut mit einem ruhigen Blick diese vertraute Pennerszene im Park, um die man sonst ja eher einen Bogen macht. Aber Rafał Singer wirkt in keiner Weise angewidert oder auch nur erstaunt. Er wechselt einige Worte mit den beiden Polizisten, die aber spürbar nicht ausreichen, ihre schmerzhaften Griffe in meine Achseln zu lösen.
    Der junge Mann zieht sein Mobiltelefon aus seiner Sakkotasche, wählt auswendig eine ihm offenbar vertraute Nummer, führt ein halbminütiges Gespräch, gibt das Telefon dann an den Nichtraucher weiter und lässt ihn nicht aus den Augen. Für einen Moment bin ich ihm dankbar, dass er vollkommen über meinen verdreckten Anzug und meine nackten Füße hinwegsieht. Dann frage ich mich, was
er
hier zu suchen hat. Warum mischt er sich in meine Angelegenheiten? Hat er nichts Besseres zu tun, als sich hier als nobler Retter der Hilflosen und Bedürftigen aufzuspielen? Sicher wartet seine stolze Mutter schon ungeduldig auf ihn, um nach diesem nervenaufreibenden Abend endlich von ihm nach Hause gefahren zu werden!
    Wie müde ich mich plötzlich fühle! Sehne mich nach der undurchdringlichen Schwärze zurück, aus der mich die beiden Beamten so brutal herausgeohrfeigt haben. Ich schließe die Augen.
    Als ich sie wieder öffne, blicke ich direkt in sein Gesicht. Seine Augen sind auf mich gerichtet, vollkommen entspannt, fast ausdruckslos. – Der Polizist gibt ihm sein Handy zurück, nickt seinem Kollegen zu und marschiert mit ihm grußlos in Richtung Parkplatz.
    »Darf ich mich einen Augenblick zu dir setzen?«, fragt er mit deutlich artikulierten Worten. Hat offenbar den kleinen biografischen Abriss im Programmheft

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