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Die Laute (German Edition)

Die Laute (German Edition)

Titel: Die Laute (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Roes
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sind und man ihnen nicht einfach die Handys abnehmen darf, das wichtigste Verständigungsmittel mit den Eltern, wenn sie außer Haus sind. Aber die Beamten hören gar nicht hin.
    Er versucht es erneut mit den Händen. Doch sofort packen zwei Sergeanten seine Arme und drehen sie auf den Rücken, diesmal so brutal, dass er das Knacken der Gelenke spürt. Dann schnüren sie ihm wieder die Hände, die noch von der ersten Fesselung schmerzen, mit Plastikbändern zusammen. Ihm wird schwarz vor Augen. Er vergisst jede Besonnenheit, jede Zurückhaltung, und beginnt zu schreien, unkontrolliert, schmerzgeschüttelt, wie ein angeschossenes Tier. Mag sein, dass er selbst noch versteht, was er auf diesem tristen Revier den Beamten entgegenschleudert, für sie aber ist es nicht mehr als das unartikulierte Gebrüll eines Besoffenen. Stumm und mit nahezu unbeteiligten Gesichtern schlagen sie Asis vor den Augen seiner Kameraden zusammen, zwei halten ihn an den gefesselten Armen aufrecht, zwei andere prügeln mit der Präzision von Robotern in Leber und Nieren, sodass man später keine Spuren der Misshandlung sehen wird.
    Amir weint. Obwohl man ihn doch gar nicht anrührt. Amirs tränennasses Gesicht ist das letzte, was Asis wahrnimmt. Er stöhnt, verliert mehrmals das Bewusstsein, doch bricht er nicht in Tränen aus. Lieber stirbt er hier auf dieser schäbigen Wache.
    Dann zerren und schleifen sie jeden von ihnen in eine andere Zelle und sperren sie mit Gefangenen zusammen, mit denen sie sich nicht verständigen können.
    Es wird Nacht, und niemand kümmert sich um sie. Asis befindet sich mit fünf unbekannten Männern in einem engen, stinkenden Raum. Es gibt nur zwei Betonliegen, einen Eimer abgestandenes Wasser und ein Loch im Betonboden für die Notdurft in diesem Verlies. Keine Fenster, keine Lüftung.
    Eher würde Asis die Scheiße auskotzen, als sich hier vor allen Augen über dieses Loch zu hocken. Und aus Trotz würde er auch die ganze Nacht an dieser schweißnassen Wand stehen bleiben, wenn sein Körper ihm denn gehorchte. Aber die Schläge haben ihm jede Kontrolle über seine Beine, seine Arme, seinen Rücken geraubt.
    Die Männer beobachten ihn wie ein merkwürdiges außerirdisches Wesen, das vor ihren Augen verendet. Als er einfach zusammensackt, als habe man plötzlich alle Knochen aus ihm entfernt, packt einer seine Beine, ein anderer seinen Kopf. Dann legen sie ihn gemeinsam auf eine der beiden Betonbänke.

36
    »Alles das geschieht mit der Selbstbeherrschung und Sicherheit eines Mannes, der keinen Menschen als über sich stehend anzuerkennen gewohnt ist.«
    Ist das der Grund, warum sich jeder junge Leser auf die Seite der Indianer schlägt, diese Gebärde des Stolzes? Asis wünschte, er könnte die Rolle des aufrechten Kriegers mit so vollendeter Anmut spielen wie dieser Wilde. Aber wer würde heute noch um seiner Ehre willen sein Leben opfern?
    Der Indianer war sich der tödlichen Gefahr voll bewusst, erinnert sich Asis. Aber mit keiner Regung zeigt er seine Angst. Nur die Augen verraten das wilde Tier in ihm, das vom Stolz gehindert wird, den todbringenden Sprung auszuführen.
    Irgendjemand berührt unsanft seinen Arm. Mühsam zwingt Asis die verklebten Lider auf, ohne am Anfang viel mehr zu erkennen als eine makellose Uniform. Er selbst hingegen fühlt sich dreckig. Fühlt sich nicht nur so, ist es nach diesen Stunden im Polizeigewahrsam auch. Seine Hose stinkt nach Urin, sein Gesicht und seine Hände sind blutverschmiert, die Lippen sind noch angeschwollen, und sein Mund ist trocken wie Sandpapier. Jede Faser seines Leibes schmerzt, sein Kopf noch teuflischer als die überdehnten Schultergelenke, die Nieren und die Leber.
    Im Büro trifft er auf Amir. Er ist blass. Seine Augen sehen aus, als habe er die ganze Nacht weitergeweint. Auf dem Tisch liegen ihre Sachen. Der Sergeant fordert sie auf, alles einzustecken und ein Papier zu unterschreiben. Ihre Geldbörsen sind leer geräumt. Keinem der beiden steht der Sinn nach Protest. Sie waren ohnehin nicht prall gefüllt.
    Sie wissen nicht, ob Ghufran und Mansur schon entlassen worden sind. Der Sergeant befiehlt ihnen, sich auf die Besucherstühle an der Wand zu setzen und zu warten. Er erklärt ihnen nichts.
    Hat er inzwischen verstanden, dass sie taub sind? Wie auch immer, Asis hat es endlich begriffen. Es war eine schmerzhafte Lektion, die er nie vergessen wird. Doch nun weiß er wenigstens, wohin er gehört.
    Amirs Vater betritt das Büro. Unsicher, beschämt. Er

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