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Die Lautenspielerin - Roman

Die Lautenspielerin - Roman

Titel: Die Lautenspielerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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wenn ihm dennoch eine Seele unter den Händen starb, fand Gerwin sich demütig und fragte verzweifelt nach dem Warum. Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass nicht alle Leben gerettet werden konnten. Es schien einen höheren Plan zu geben, einen von Gott entworfenen Ablauf, in den man nicht eingreifen konnte. Gelang ihm die Rettung eines Patienten, dann war auch das Bestimmung. Mit dieser Sichtweise hatte Gerwin sich anzufreunden gelernt. Und doch war die Gabe des Heilens für ihn nach wie vor Fluch und Segen zugleich. Ob er jemals ganz mit Gott und sich ins Reine kommen würde, wer vermochte das zu sagen …

    Je näher er Freiberg kam, desto düsterer wurde seine Stimmung. Er gestand sich ein, dass er die Ankunft absichtlich hinausgezögert hatte, denn im tiefsten Winkel seines Herzens fürchtete er sich vor dem Wiedersehen mit seiner Mutter, so sie denn noch am Leben war. Hatte er nicht doch etwas geahnt, als sie ihn den anderen Kindern vorzog? Nein, der Gedanke, dass Friedger Pindus nicht sein leiblicher Vater sei, war ihm nie gekommen. Dabei hätte er sich nichts sehnlicher gewünscht, als dass der stinkende Säufer nicht sein Erzeuger war.
    Es kam der Tag, an dem er die Ufer der Flöha hinter sich gebracht hatte und Großhartmannsdorf vor ihm lag. Es war hochsommerlich warm, Vögel sangen, Insekten schwirrten über den sumpfigen Auen. Als die Hufe seines braven Pferdes über den steinigen Weg klapperten, der nach Helwigsdorff hineinführte, zog sich Gerwins Magen zusammen. Sein Elternhaus lag verfallen unten am Fluss. In der Dorfmitte standen noch immer die riesige Eiche und daneben die Häuser der Instrumentenmacher Froehner.
    Ein Huhn lief über den staubigen Weg, und eine Katze döste auf einem Holzstapel. Die Sonne hatte den Zenit bereits überschritten. Gerwin stieg ab und band sein Pferd an einem Baum fest. Zögernd betrat er den mit Unkraut überwucherten Weg zu seinem Elternhaus. Das Dach war eingefallen, die Fenster nur noch offene Löcher. Jemand hatte die Rahmen entfernt. Gerwin steckte den Kopf durch den Eingang, der ebenfalls nicht mehr von einer Tür versperrt war. »Hallo?«, rief er. »Ist da jemand?«
    Doch er hörte nur das Rascheln von winzigen Krallen auf morschem Holz und hier und da ein Quieken.
    »Die sind schon lange fort! Lumpenpack das. Kann ich Euch helfen?«, erkundigte sich eine männliche Stimme von der Straße her.
    Gerwin hustete, die modrige Luft im Haus legte sich auf die Lungen. Als er sich umdrehte und blinzelnd gegen das Licht nach
hinten sah, erkannte er einen Mann, dessen Silhouette ihm vage vertraut war. »Wisst Ihr, wo sie hin sind?«
    Langsam ging er auf den Mann zu, der ihn neugierig musterte. Gerwin erkannte den Vater von Franz Froehner sofort, die Ähnlichkeit war unverkennbar. Ulmann machte eine vage Geste. »Keiner weiß, was aus ihnen wurde, nachdem der alte Pindus gestorben war. Alter Säufer, Nichtsnutz, hat seiner Familie keinen blanken Heller hinterlassen.«
    Du solltest nicht so schlecht reden, Ulmann, dachte Gerwin, wo doch dein eigener Sohn ein ganz und gar liederliches Subjekt ist. »Aber irgendwohin müssen sie gegangen sein.«
    »Warum interessiert’s Euch?«, fragte Ulmann argwöhnisch.
    »Oh, ich komme von einem Notar aus Erfurt«, schwindelte Gerwin rasch. »Die Frau Gudrun Pindus, geborene Waldeck, hat eine kleine Erbschaft gemacht.«
    »Na, wenn das keine Überraschung ist! Wahrscheinlich ist die ganze Sippe am Hunger verreckt, aber manchmal ist solch ein Volk ja zäh. Kommt mit, wir fragen Berna. Die kommt aus Freiberg und kennt mehr Leute als ich.« Ulmann ging auf das Haus gegenüber der Eiche zu, in welchem Thomas Froehner gelebt hatte.
    »Ihr seid Instrumentenbauer?«, fragte Gerwin mit Blick auf das Türschild.
    »Ja, seit Generationen. Aber seit dem Tod meines Vaters vor zwei Jahren ist das Geschäft schlecht geworden. In Freiberg oben machen sie es unter sich aus. Haben es uns bei Hof in Dresden verdorben. Wir machen nur noch Cistern für die Bergleute«, beschwerte sich Ulmann. Er stieg die Stufen zum Froehnerhaus hinauf und stieß die abgenutzte Tür auf. Der Wohlstand aus den Tagen des alten Thomas war lange Vergangenheit. »Afra! Berna! Wo sind denn alle?«, schrie Ulmann.
    Es polterte im Treppenhaus, und eine junge Frau mit schmutziger Schürze und mürrischer Miene kam in den Eingang. »Ach,
da bist du ja, Ulmann. Ich habe genug von deiner Alten. Nie zufrieden ist die alte Ziege! Kümmer dich doch selbst! In der Küche wartet Arbeit, die

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