Die Lautenspielerin - Roman
Wäsche muss auch gemacht werden. Und wenn deine dummen Söhne mich noch einmal betatschen, gehe ich fort!« Erst jetzt bemerkte sie Gerwin, der an den Stufen wartete.
Sie straffte die Schultern und strich sich eine blonde Haarsträhne aus der Stirn. »Hättest sagen sollen, dass wir Besuch erwarten. Außer Kohl und Gerstenbrei ist nichts da.«
Im Korridor stand das obligatorische Krautfass und erinnerte Gerwin an vergangene Tage.
»Sei nicht so frech, Berna. Sag mir lieber, ob du weißt, was aus der Witwe des Ochsentreibers Pindus geworden ist. Sind die nach Freiberg gegangen?« Ulmann wischte sich die Stirn mit dem Ärmel eines löchrigen Hemdes.
Berna runzelte die Stirn und zupfte an ihrem Dekolleté. Was kokett sein sollte, wirkte derb wie das Mädchen selbst. »Ach die, mit deren Tochter der Franz abgehauen ist? Sind die nicht alle bei dem Brand im Armenhaus krepiert?«
Gerwin hielt den Atem an und umklammerte seinen Degenknauf. »In Freiberg?«
Das Mädchen legte den Kopf schief. »Wo sonst? Ach nein, jetzt fällt’s mir wieder ein. Die älteste Tochter hat einen Vogler geheiratet. Da hab’ ich noch gedacht, was für ein Glück das dumme Ding hätte, einfältig und hässlich, wie die war.«
»Was geht da unten vor?«, ertönte die schrille Stimme von Afra Froehner, und Ulmanns Frau kam in einem Nachtgewand die Treppen heruntergehumpelt. Die Haare hingen wirr um ihr verhärmtes Gesicht. »Franz, bist du gekommen? Sag doch etwas! Ist mein Sohn da?«
Verärgert ging Ulmann zu seiner Frau, packte sie am Arm und schubste sie die Treppe hinauf. »Geh ins Bett, Frau. Du bist krank!«
Afra wimmerte, als Ulmann sie nach oben brachte. Berna grinste
und tippte sich mit dem Finger an die Stirn. »Wirr, aber durchtrieben wie Satan selbst. Besser, Ihr reitet weiter, Herr. Ist ein trostloser Flecken, dieses Dorf. Die Vogler sind ja Wandervolk, aber der stammte aus Dörnthal. Fragt da nach, wenn’s Euch wichtig ist.«
Gerwin hatte genug gesehen und gehört und verließ das Haus, in dem nichts von der Freundlichkeit des Thomas Froehner geblieben schien. Ausgerechnet Dörnthal, dachte Gerwin, während er sein Pferd über die schmalen Wege trieb, die er einst mit Hippolyt beschritten hatte. Vorbei an der Höllermühle durch den Wolfsgrund nach Obersaida ritt er, und dann sah er die Türme von Alnbecks Rittergut auf der Anhöhe. Dörnthal. Sein Herz schlug schneller, und er hielt Ausschau nach herrschaftlichen Reitern. Doch die drei Bauernhöfe lagen friedlich in der untergehenden Abendsonne. Er überlegte gerade, bei welchem Hof er anfragen könnte, als er einen Mann aus dem Wald kommen sah.
Der Fremde war nur mit einer Hose bekleidet und trug einen Kasten auf dem Rücken. In der Hand hielt er einen langen Stab.
»Es scheint, als hätte ich Glück«, murmelte Gerwin und drängte sein Pferd in Richtung des Fremden. Der Kasten entpuppte sich beim Näherkommen als Vogelkäfig, in dem ein Dutzend Singvögel umeinanderflatterten.
»Verzeiht, mein Herr, ich komme von Helwigsdorff, wo man mich hierher verwies. Ich bin auf der Suche nach einem Vogler, der mit Hedwig Pindus verehelicht ist«, sagte Gerwin höflich.
Der junge Mann kniff argwöhnisch die Augen zusammen, und seine Haltung versteifte sich. Struppige Haare und ein ebensolcher Bart gaben ihm das Aussehen eines Waldmenschen. »Wer will das wissen?«
»Ein Notar aus Erfurt. Eigentlich bin ich auf der Suche nach Gudrun, Hedwigs Mutter. Es geht um eine Erbschaft.«
»Dann folgt mir. Der Vogler bin ich selbst, Utz mein Name, und die Mutter meiner Frau lebt bei uns. Ist sehr krank. Mit der geht’s zu Ende.«
»Dann sollten wir keine Zeit verlieren!«, rief Gerwin und drängte den überraschten Utz zur Eile.
Utz lebte in einem winzigen Haus auf der anderen Seite des Baches. Die ärmliche Behausung lag im Schutz von Fichten und einer alten Weide. Unzählige Vogelkäfige stapelten sich neben dem Haus, das aus Brettern ungelenk zusammengezimmert war. Aus den unverkleideten Fensteröffnungen hörten sie eine Frauenstimme ein einfaches Lied singen.
»Hedwig!«, rief Utz und stellte den Käfig auf einen Baumstumpf.
Das Haus stand inmitten einer Wildnis aus Gräsern, Kräutern, Wildblumen und durcheinanderwachsenden Gemüsepflanzen. Ein Trampelpfad führte zur Tür, die offen stand. Gerwin saß ab und ließ die Zügel aus den Händen gleiten, als er seine Schwester sah, die mit einem Kleinkind auf dem Arm zu ihnen trat.
Hedwig, seine kleine Schwester, die kaum
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