Die Lautenspielerin - Roman
dieses Opfer nicht umsonst gebracht hat.«
Eine Flasche zersplitterte auf dem Boden. »Entschuldigung, Meister«, sagte Gerwin, dem der Schreck in die Glieder gefahren war.
»Ungeschickter Tölpel!« Christoph von Alnbeck schubste Ger-win
zur Seite und trat zum Bett seines Sohnes. Überraschend zart küsste er den noch immer Bewusstlosen auf die Stirn. »Denkt an meine Worte. Wenn Leander gesundet, werdet Ihr reich belohnt, anderenfalls … Nun, Ihr habt gesehen, was mit Leuten geschieht, die meinen Anordnungen nicht Folge leisten.« Abrupt wandte er sich um und schritt zur Tür.
»Wir sind aber nicht Eure Vasallen, Herr Ritter!« Stolz reckte Gerwin das Kinn. Niemand hatte das Recht, ihm und schon gar nicht Hippolyt zu befehlen. Sie waren Freie und einzig dem Kurfürsten unterstellt.
Zu spät sah er Hippolyts beschwichtigende Handbewegung.
»Du wagst es, mir Widerworte zu geben?«, brauste Christoph von Alnbeck auf und schlug Gerwin mit der flachen Hand mit solcher Wucht gegen die Wange, dass der junge Mann rücklings zu Boden ging. Bevor der jähzornige Alnbeck sich erneut auf Gerwin stürzen konnte, stellte Hippolyt sich dazwischen.
»Verzeiht die unbedachten Worte der Jugend, edler Herr. Ich verstehe Euer aufgewühltes Gemüt, das geprägt ist vom Schmerz um Euren Sohn. Mit Gottes gnädiger Hilfe wird es uns gelingen, sein Leben zu retten. Möge der Herrgott uns Trost schenken in unserer Verzweiflung.«
Die Worte des Arztes verfehlten ihre Wirkung nicht. Alnbeck gewann seine Fassung wieder und rückte seinen Gürtel und die darin befindlichen Waffen an ihren Platz. »Passt besser auf Euren Gehilfen auf, sonst bekommt er meinen Degen zu schmecken«, knurrte er noch und schritt wütend davon.
Nachdem die Tür krachend ins Schloss gefallen war, rappelte sich Gerwin auf und betastete Kinn und Wange, die sich heiß anfühlten. »Was denkt sich dieser Kerl, uns zu behandeln wie seine Knechte?«
Hippolyt strich sich über den kahlen Schädel und seufzte. »Gar nichts, Gerwin. Er denkt nicht darüber nach, weil er jeden so behandelt, und wir sind in der deutlich schlechteren Position, das
dürfen wir nicht vergessen. Herren und Diener, Gerwin. Herrscher und Beherrschte, Reich und Arm …«
»Schon gut, ich habe verstanden.«
»Es ist zu deinem Wohl. Zudem bangt der Vater um den einzigen Erben. Alternant spesque timorque vicem . 4 « Mit sorgenvoller Miene stand Hippolyt vor Leanders Bett. »Gerwin, lass die Scherben liegen und komm zu mir«, bat Hippolyt seinen Gehilfen, der die zersplitterte Arzneiflasche aufsammeln wollte. »Ich gestehe es nicht gerne ein, aber ich bin am Ende meines Lateins. Beide Wunden heilen, die Beule am Kopf schwillt ab. Und doch wird der Junge immer schwächer. Seine Atmung geht flach, und sein Herzschlag ist unregelmäßig. Als ich ihn das erste Mal sah, tippte ich auf eine schwache Konstitution.«
»Adelia sagt, die Mutter hatte ein Dutzend Totgeburten, bevor sie diesen Knaben zur Welt brachte.«
»Das könnte es erklären. Wenn Frauen erst im späten Alter Kinder gebären, sind diese oft schwächlich, neigen zu blutigem Husten und sterben früh. Die Mutter des französischen Königs, Katharina de Medici, hat ebenfalls viele Fehlgeburten ertragen müssen, bevor sie lebensfähige Kinder zur Welt brachte. Und von diesen Kindern ist eines bereits an Schwäche gestorben. Karl IX. wird ebenfalls an seiner Konstitution sterben, denn er leidet unter blutigem Husten und Atemlosigkeit. Aber ich schweife ab. Ich vermute, dass Leander bereits dem Tode geweiht war und der Unfall sein Sterben beschleunigt hat. Leg ihm die Hand aufs Herz.«
Gerwin gehorchte und spürte einen schwachen, unregelmäßigen Herzschlag, der sich anfühlte wie ein ängstlich springendes Kaninchen. Doch da war noch etwas anderes, und Gerwin riss die Hand fort, als hätte er glühendes Eisen berührt.
»Du hast es wieder gefühlt, nicht wahr?« Hippolyt musterte ihn aufmerksam.
Gerwin barg das Gesicht in den Händen und wandte sich ab. Er hatte es nicht zum ersten Mal im Leben gespürt, doch es erschreckte ihn jedes Mal zutiefst. »Ich kann nichts dafür, Hippolyt«, flüsterte er heiser, nahm die Hände vom Gesicht und betrachtete sie, als seien sie verflucht. »Ich will doch nur helfen!«
Er hatte den Tod gespürt. Kalte Arme hielten Leander bereits umklammert und zogen ihn hinüber in die ewige Finsternis. Gerwin zitterte und sah Hippolyt hilflos an.
»Es ist eine Gabe, Gerwin, kein Fluch. Du bist zum Heiler
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