Die Lautenspielerin - Roman
vorsichtig.
»So schlimm steht es?« Traurig sank sie auf einen Schemel. Ihre seidenen Röcke raschelten leise, und das goldene Geschmeide klingelte viel zu fröhlich an den Handgelenken.
Adelia hielt eine kleine Lutherbibel in den Händen und kniete neben dem Krankenbett. »Herr, neige deine Ohren zu mir, eilend hilf mir! Sei mir ein starker Fels und eine Burg …«, hub die Zofe an zu beten, und ihre Herrin fiel in den Psalm ein und kniete ebenfalls nieder.
Gerwin zupfte Hippolyt am Ärmel und zog ihn hinaus vor die Tür. Aus dem benachbarten Raum brachte eine Dienerin eine mit einem Tuch abgedeckte Schüssel, aus der es nach Kot und Urin stank. Als sie mit ihrer unappetitlichen Last vorbei war, sagte Gerwin leise: »Was machen wir jetzt? Wenn Leander stirbt, und das wird in wenigen Tagen der Fall sein, bringt uns der Ritter um!«
»Hm«, brummte Hippolyt.
»Warum sind wir gekommen, wenn du doch wusstest, was für ein rachsüchtiger Mensch dieser Alnbeck ist?«
»Er hätte uns mit Gewalt holen lassen. Eunt via sua fata . 5 «
»O Hippolyt, lass jetzt das Latinisieren! Unser Leben hängt an einem seidenen Faden. Ich will nicht enden wie der Pferdeknecht!« Angstvoll blickte Gerwin über die Balustrade in den Hof, wo drei Knechte damit beschäftigt waren, den Dreck auf einen Karren zu schaufeln. »Wann kommt der Ritter von der Jagd zurück? Bis dahin müssen wir fort sein!«
»In Anbetracht der Gegebenheiten wäre das sicher von Vorteil«, sinnierte Hippolyt, wobei es schelmisch in seinen Augen blitzte, und Gerwin schöpfte wieder Hoffnung.
Der Zustand des jungen Leander war am nächsten Morgen bereits so kritisch, dass seine Mutter den Prediger holen ließ. Gerwin stand mit Hippolyt im Hintergrund des abgedunkelten Raumes und hörte die ewig gleichen Worte des schwarz gekleideten Mannes: »Der du die Menschen lässt sterben und sprichst: Kommt wieder, Menschenkinder. Denn tausend Jahre sind vor dir wie der Tag, der gestern vergangen ist, und wie eine Nachtwache …«
Der protestantische Prediger, ein großer Mann mit vorstehendem Leib und Armen, die zu lang schienen, stand am Fußende des Krankenlagers. Mit grillenartigen Fingern durchfuhr er gestenreich die Luft, um die Bedeutung seines geistlichen Tuns zu unterstreichen, denn seit der Kirchenreform war es um die meisten Pfarreien schlecht bestellt. Die Prediger waren auf Almosen der Gläubigen angewiesen, um die Kirchen instand zu halten. Neue Gesetze erlaubten ihnen und den Küstern, für ihre Dienste zwischen sechs und acht Groschen zu nehmen, und die Pfarrhufen sollten reihum von den Bauern der Gemeinde gegen ein
geringes Entgelt bestellt werden. Die Wirklichkeit bescherte den Predigern ein ärmliches Dasein, das wohl manchen die fetten Zeiten des alten Glaubens zurückwünschen ließ.
Für Gerwin war das Gebärden des Geistlichen nichts als Augenwischerei. Wahrscheinlich war er schon zu lange mit Hippolyt zusammen, der alles - und ganz besonders die Kirche - auf Sinnhaftigkeit prüfte. In der großen Truhe seiner Studierstube verwahrte der Medicus seine wertvollsten Schätze, zu denen Bücher gehörten, die auf dem Römischen Index standen und auch bei fanatischen Protestanten verpönt waren, und eine schwarze Kutte, über deren Herkunft sich der Arzt bisher ausgeschwiegen hatte. Mit den Jahren hatte Gerwin gelernt zu warten. Es hatte keinen Sinn, Hippolyt nach Dingen zu fragen, über die er nicht sprechen wollte. Für alles gab es den richtigen Zeitpunkt.
Gerwin stieß Hippolyt in die Seite. »Was sollen wir tun? In der Küche habe ich gehört, dass die Jagdgesellschaft für übermorgen erwartet wird. Aber sie haben dem Herrn Ritter wohl schon vom bedenklichen Zustand seines Sohnes Nachricht gegeben, denn als ich mich dem Tor näherte, stellte sich gleich eine Wache davor.«
Der Wundarzt räusperte sich und betrachtete eingehend seine Schuhe, die aus dickem Leder gefertigt und genauso betagt waren wie er selbst. Leise erwiderte er: »Ich benötige dringend neues Schmerzmittel. Das wirst du mir aus Helwigsdorff holen müssen.«
»Aber da sind noch …«, wandte Gerwin ein, doch der Prediger war mit seinen Fürbitten am Ende und schloss mit einem »Amen«. Hippolyt richtete sich auf und wartete, bis der Prediger entlassen wurde.
»Euer Hochwohlgeboren.« Der protestantische Prediger neigte das Haupt vor Elisabeth von Alnbeck, die mit bekümmerter Miene neben dem Lager ihres Sohnes saß.
»Danke. Lasst Euch in der Küche eine Mahlzeit reichen
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