Die Lautenspielerin - Roman
wäre das, was meinen Jungen retten könnte.«
Gerwin schluckte betreten. Obwohl sie keine Schuld am Dahinsiechen des Jungen trugen, fühlten sie sich hilflos und letztlich verantwortlich für den Tod Leanders, der in absehbarer Zeit eintreten würde. »Wir sollten hinaufgehen und noch einmal nach Leander sehen«, flüsterte Gerwin.
»Gleich. Lassen wir die Herren erst verschwinden.«
Hans Wolf von Schönberg legte eine beringte Hand auf den Schoßrock, dessen Goldfäden im Lampenlicht schimmerten. »Ich bin froh, dass wir uns in dieser Sache verstehen. Wenn es die Umstände erlauben, solltet Ihr Euch bei Hofe blicken lassen. Man wird nicht undankbar sein, glaubt mir.«
Mit dieser in Aussicht gestellten Belohnung beendete Schönberg die Unterhaltung, und sie gingen hinauf in ihre Quartiere.
Der Wundarzt und sein Lehrling sahen ein letztes Mal nach ihrem Patienten, der im gnädigen Opiumschlaf seinem Ende entgegendämmerte, suchten ihre Sachen zusammen und verließen das Zimmer. Eine alte Dienerin saß neben dem Feuer, doch sie schlief fest.
Mitternacht war bereits vorüber, und der Mond stand als weiße Sichel am nachtblauen Himmel. Schemenhaft waren die Wagen der Besucher zu sehen, die in den beengten Stallungen keinen Platz gefunden hatten. Aufgrund der Kälte hatten sich die Wachleute
nach drinnen begeben, wo sie dem Würfelspiel und dem Bier frönten. Hippolyt strebte dem Tor entgegen, doch Gerwin zog ihn am Umhang. »Warte, ich will noch kurz in den Stall.«
»Nein! Komm jetzt!«
»Aber ich möchte Almut die Kräuter geben. Sie tut mir leid.« Ohne auf Hippolyts geflüsterten Protest zu hören, zog Gerwin die Stalltür einen Spalt auf und huschte hindurch. Er fand den Pferdeknecht in der Sattelkammer auf einem Strohsack. »He.« Gerwin rüttelte den Mann, der aufstöhnte und sich mühsam aufrichtete, denn sein Rücken schmerzte noch immer.
»Gib das deiner Schwester. Sag ihr, dass es Frauen in Not hilft. Sie muss einen Sud davon kochen und ihn dreimal täglich zwei Tage lang trinken. Hier!« Er drückte dem verdutzten Knecht das Kräuterbund in die Hände und ging auf die Stalltür zu. Bevor er hinaustrat, ergriff der Mann ihn am Arm. »Ihr wollt fliehen, habe ich recht?«
Gerwin schwieg.
Der Pferdeknecht hatte ein zerfurchtes Gesicht mit einer breiten Nase und wachen grünen Augen. »Ich werde Euch nicht verraten. Ihr habt mir das Leben gerettet. Mein Name ist Jonas Rabe, und ich danke Euch im Namen meiner Schwester. Vielleicht gehen wir wirklich fort von hier. Ihr solltet nicht durch das Haupttor gehen.« Er schob Gerwin zur Seite und ging vor ihm durch die Tür, wo er wartete, bis Gerwin Hippolyt herbeigeholt hatte.
Stumm folgten sie Jonas zu einer Tür in einer dunklen Nische des Gesindehauses. Durch einen schmalen Gang gelangten sie zu einer weiteren Tür, die auf der Rückseite des Gutes direkt auf den steinigen Hang führte. »Haltet Euch von Frauenstein fern, dorthin wollen sie morgen«, flüsterte Jonas. »Gott schütze Euch!« Dann schloss er die Tür hinter ihnen, und sie hörten, wie er den Riegel vorlegte.
Gerwin und Hippolyt sahen sich kurz an. »Dann los. Wirst du es bis zum Waldbauern schaffen, Hippolyt?«
»Red nicht, lass uns lieber loslaufen. Ich habe drei Beine, oder nicht? Da sollte ich sogar schneller sein als du.«
»Keine Späße, Meister. Ich kann Euch nicht tragen!«
Von dem Waldbauern, bei dem Gerwin den Sack versteckt hatte, trennte sie eine Stunde schnellen Gehens. So erreichten die beiden Männer ihr Ziel noch vor dem Morgengrauen und erstanden das einzige Pferd des Waldbauern für zwei Taler, obwohl die besten Tage der Mähre lange vorüber waren und ein Gnadenbrot und ein ruhiger Platz im Stall ihr eher zugestanden hätten.
Mittlerweile waren sie seit Stunden unterwegs und hatten noch kein Auge zugetan. Streifen von Dörrfleisch, auf denen sie kauten, halfen, die Augen offen zu halten. Neben dem Gepäck hatten die beiden Männer gerade genug Platz auf dem durchgerittenen Rücken des kräftigen Ackergauls.
»Kannst du noch, Hippolyt?« Gerwin lenkte das Pferd, soweit es möglich war, um tiefere Löcher und Unebenheiten herum.
»Ich glaube, du fragst den Falschen.« Hippolyt löste eine Hand, mit der er sich an Gerwin festhielt, und tätschelte den Pferdehintern. »Wenn dieser altersschwache Klepper es bis Nossen schafft, glaube ich wieder an die Heilige Dreifaltigkeit.«
Gerwin lachte laut, wurde jedoch sofort von Hippolyt warnend in die Rippen
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