Die Lautenspielerin - Roman
war niemand anders als Friedger Pindus.
»Ja, wenn das kein Zufall ist! Mein werter Herr Sohn und der Quacksalber, der in Ungnade gefallen ist.« Friedger schüttelte den Kopf. »Neuigkeiten verbreiten sich schnell, sie fliegen mit den Krähen, diesen schwarzen Aasfressern, die schon mit einigen Bissen fauligen Fleisches zufrieden sind.« Er streckte den Kopf vor, der von einem zerbeulten Filzhut bedeckt war. Den löchrigen Umhang hatte er über die Schultern geworfen, die Hände in die Hüften gestemmt.
»Was treibst du überhaupt hier?«, fragte Gerwin, der vor Angst bebte. Sein Vater würde ihn verraten, dessen war er sich sicher. Für einen Taler oder zwei, das spielte keine Rolle.
Friedger zog die Lippen über die wenigen verbliebenen gelben Zähne zurück. »Ich hatte einen Botengang zu machen. Du treibst dich herum und tändelst mit den Weibern, während ich mich um das Wohl der Familie sorge.«
Gerwin wechselte einen ratlosen Blick mit Hippolyt. »Wieso Weibern?«
»Ich weiß Bescheid über dich und die kleine Franzosenhure …«
Wütend stürzte Gerwin sich auf seinen Vater, doch für Pindus gehörten Schlägereien zum Leben wie das Biersaufen im Wirtshaus, und flink wie ein Wiesel drehte er sich ab und ließ Gerwin ins Leere stolpern. »Da musst du schon früher aufstehen, Bürschlein.«
»Gerwin!«, rief Hippolyt, der die Zügel des scheuenden Pferdes ergriffen hatte, und die Wut, die sich wie ein roter Nebel über Gerwins Denken legte, wenn er mit Friedger aneinandergeriet, verebbte.
»Bist du allein, Pindus?«, fragte Hippolyt.
»Nimm dir ein Beispiel an deinem Freund, Gerwin. Schlau und nie um ein Wort verlegen. Vielleicht, vielleicht auch nicht, Herr Medicus.« Friedger legte den Kopf schief und kniff drohend die Augen zusammen. »Ihr habt ein Pferd und viel Gepäck. Wenn ich richtig kombiniere, macht ihr euch aus dem Staub. Unterwegs bin ich Reitern aus Dörnthal begegnet, die überall nach euch fragen. Es sollte euch einige Taler wert sein, dass ich vergesse, euch gesehen zu haben. Zumindest so lange, bis ihr mehr schickt«, setzte er hinzu.
»Wir haben kein Geld, Vater. Bitte, im Namen Gottes, lass uns ziehen!«, bat Gerwin, obwohl er wusste, dass sein Vater niemals nachgeben würde.
Friedger machte einen Schritt nach vorn, begleitet von einer Ekel erregenden Wolke aus Schweiß, ranzigen Haaren und Erbrochenem, das auf seinem Wams klebte. »Genug geschwätzt. Ich weiß von deiner Mutter, der kleinen Hure, dass ihr Geld habt. Sie zierte sich erst, aber ein paar kräftige Hiebe haben Wunder gewirkt.«
Weiter kam Friedger nicht, denn Gerwin schlug ihm mit voller Wucht die Faust ins Gesicht. Pindus ging zu Boden, brüllte wie ein angestochener Stier und war sofort wieder auf den Beinen, um seinen Sohn an der Kehle zu packen. »Du wagst es, deinen eigenen Vater zu schlagen? Ich prügle den letzten Rest Verstand aus deinem verödeten Gehirn!«
Rasend vor Wut und nicht in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen außer dem, dass dieser Trunkenbold seiner Mutter das Goldstück abgenommen hatte, welches er ihr anvertraut hatte, rang Gerwin mit seinem Vater. Schon manches Mal war er mit ihm aneinandergeraten, aber hier ging es um mehr. Hippolyt rief etwas, doch Gerwin röchelte unter dem Druck von Friedgers Händen, die seinen Hals wie einen Schraubstock zusammenpressten. Er spürte, wie die Augen aus den Höhlen quollen, und
machte einen verzweifelten Satz nach vorn. Pindus stolperte, fiel auf den Rücken und riss Gerwin mit zu Boden. Plötzlich fühlte Gerwin eine Veränderung im Körper seines Gegners. Dessen Muskeln erschlafften. Die Hände, die eben noch mit tödlicher Wut zugedrückt hatten, lagen neben dem Körper auf dem feuchten Waldboden. Verstört rollte Gerwin sich von seinem Vater und rappelte sich auf.
Hippolyt trat zu ihm und beugte sich über den regungslos liegenden Mann. Die Stille, die dem rasenden Zornesausbruch folgte, war drückend. Verlegen klopfte Gerwin sich den Schmutz von Hose und Umhang. »Ich wollte nicht, aber …«
Der Wundarzt schüttelte den Kopf. »Ein Unfall, Gerwin. Er ist mit dem Kopf auf den Baumstumpf geschlagen und war sofort tot.«
Jetzt erst begriff Gerwin die Tragweite seines unbeherrschten Handelns. Dort vor ihm auf dem Hasenkadaver lag Friedger Pindus mit offenen Augen, die gebrochen in den grauen Winterhimmel starrten. Entsetzt schlug sich Gerwin die Hände vor das Gesicht. »O Gott im Himmel, vergib mir! Ich habe meinen eigenen Vater getötet!
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