Die Lautenspielerin - Roman
einer Hand die Wange, die sich noch heiß anfühlte.
Mitleidig und voller Sympathie sah Gudrun sie an. »Schönheit ist Fluch und Segen zugleich. Aber sagt mir, habt Ihr nichts von Gerwin gehört?«
Erstaunt schüttelte Jeanne den Kopf. »Nein. Ich hätte keinen Grund, es Euch zu verheimlichen.«
Die Enttäuschung war Gudrun anzumerken.
»Warum sollte er mir etwas sagen und Euch nicht?«
»Nur ein Gedanke, ich war mir sicher, er hatte ein Auge auf Euch geworfen. Die Reiter aus Dörnthal haben mir Angst gemacht. Es muss etwas geschehen sein. Hippolyt und Gerwin würden niemals einen Kranken im Stich lassen.« Die verhärmte Frau seufzte tief und bemerkte nicht, wie ihre Tochter sich den Rest des Zapfens in den Mund steckte.
»Welche Reiter?« Seit der versuchten Vergewaltigung hatte Jeanne kaum Anteil am dörflichen Geschehen genommen.
»Der Ritter von Alnbeck hat sie geschickt, um nach Gerwin und Hippolyt zu suchen, die das Gut ohne ein Wort verlassen haben. Ich mache mir große Sorgen, und mein Mann ist ebenfalls seit Tagen verschwunden. Wenn ich nur wüsste, was geschehen ist! Ohne Friedgers Einkünfte, seien sie auch noch so kärglich, verhungern mir die Kleinen.«
Hedi hustete und spuckte den zerkauten Zapfen aus. Jetzt begriff Jeanne, dass das Kind aus Hunger auf dem trockenen Zapfen
kaute. Automatisch kramte sie in ihrem Beutel nach einer Münze und hielt sie Gudrun hin. »Hier, nehmt das. Wir haben selbst nicht viel, aber zumindest genug zu essen.«
»Nein, ich wollte nicht betteln!« Abwehrend zog Gudrun ihre Tochter mit sich und wandte sich zum Gehen.
»Es ist nur ein Groschen, bitte. Er kommt von Herzen. Wären wir bei uns zu Hause im Languedoc, hätte meine selige Mutter Euch zum Essen eingeladen.«
Einer der Männer kam mit einem leeren Sack zurück und griff sich anzüglich in den Schritt. »Na, Gudrun, wie wär’s mit uns? Der Alte ist nicht da, juckt’s dich nicht?«
»Pass nur auf, Rem. Wenn er das hört, prügelt er dich windelweich!«, schrie Gudrun erbost.
»Wenn er so weitersäuft wie zuletzt in Freiberg, dann kriegt er gar nichts mehr hoch, schon gar keine Faust!« Grölend trollte sich der Mann.
Gudrun Pindus vermied es, Jeanne direkt anzusehen. »Einen guten Tag wünsche ich Euch und danke, dass Ihr einer wie mir zugehört habt.«
»Gott mit Euch«, sagte Jeanne und sah den mageren Gestalten nach, die in ihren dünnen Lumpen frieren mussten und nichts zu erwarten hatten.
Fünf Tage darauf kehrte Friedger Pindus auf dem Karren eines Bergbauern in sein Dorf zurück. Es war später Nachmittag, und die Dunkelheit senkte sich herab, als die Männer aus dem Freiberger Raum ihre traurige Fracht brachten.
Der Karren hatte einen niedrigen Aufbau, der von einer Plane bedeckt war. Vorn neben dem Karrenführer waren zwei Lampen befestigt, und die Männer, die nebenhergingen, hielten Fackeln. Vor dem Haus von Gudrun Pindus hielten sie an und riefen laut, so dass innerhalb kürzester Zeit das gesamte Dorf versammelt war. Neugierig war auch Jeanne mit Thomas Froehner und den
Frauen hinausgelaufen und sah, wie die Bergleute Gudrun die Leiche zeigten.
»Ist das dein Mann?«
Blass und mit versteinerter Miene starrte die mittellose Frau auf den Körper auf dem Karren und nickte.
»Wir haben ihn oben auf der Höhe vor Freiberg gefunden. Sein Gesicht war uns aus dem Wirtshaus bekannt, und wir sind anständige Christenmenschen und sehen es als Pflicht, ihn nach Haus zu bringen. Wo sollen wir ihn hinlegen?«
»Was?«, fragte Gudrun verwirrt.
»Frau, wo soll er aufgebahrt werden? Für die Beerdigung«, wiederholte der Mann unwirsch. »Wir müssen heute noch nach Großhartmannsdorf. Und zahlen kannst du uns gleich.«
»Ich soll euch dafür belohnen, dass ihr mir den kalten Gatten vor die Tür legt?«, entfuhr es Gudrun.
Unwilliges Gemurmel ging durch die Umstehenden. Afra meinte: »Anstand von einer Dirne wie der dort zu erwarten ist vergebens. Den Weg hättet ihr euch sparen können.«
Zornig sah Gudrun sie an: »Du hast gut reden! Dieser Kerl dort auf dem Karren hat mir keinen Groschen gelassen, damit ich die Kinder ernähren kann. Was soll ich jetzt tun? Wir werden im Armenhaus landen, wenn wir nicht vorher verrecken!« Verzweifelt drückte Gudrun das kleine Mädchen an sich, das mit leeren Augen auf den toten Vater starrte.
Der Wortführer der Bergleute wandte sich verärgert an die Schaulustigen. »Was ist mit euch, Leute? Will denn keiner der Witwe das Geld für die Beerdigung
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