Die Lautenspielerin - Roman
bereits lebhaft zuging, denn Wirtshäuser waren Knotenpunkte des Nachrichtenaustauschs für Reisende und Einheimische. Französische, niederländische und spanische Händler saßen neben polnischen und deutschen Reisenden mit unterschiedlichsten Zielen und Aufträgen. Monsieur Paullet war bei ihrem Erscheinen aufgestanden und winkte ihnen von einem Ecktisch aus zu. Er war ein schlanker Mann, der das dritte Jahrzehnt beschloss, und die hellgrauen Augen leuchteten erfreut. Offene Gesichtszüge, eine gerade Nase und ein markantes Kinngrübchen machten ihn zu einem ansehnlichen Mann, was Jeanne jedoch in keinster Weise beeindruckte.
»Monsieur Paullet, was für eine Freude!«, begrüßte ihr Vater den Kaufmann.
Dieser strahlte. »Cosmè für Euch und Eure bezaubernde Tochter. Wie geht es heute Morgen, Jeanne? Wie war Euer erster Auftritt am Hof? Wie ich sehe, haben Euch die höfischen Hyänen nicht gefressen. Ich habe Euch ein kleines Geschenk mitgebracht.« Mit diesen Worten reichte er ihr ein dunkelgrünes Samtbeutelchen.
»Das kann ich nicht annehmen, Monsieur. Bitte, macht mir keine Geschenke.«
»Aber Ihr wisst ja noch gar nicht, was es ist!«, beschwerte sich der Franzose scherzhaft, schob ihr den Beutel zu und wartete, dass Endres und Jeanne sich zu ihm an den Tisch setzten, auf dem bereits ein Krug Milch, Brot, Käse und Butter standen. »Mögt Ihr Grütze zum Frühstück? Sie ist hier zwar fürchterlich, aber …«
Jeanne musste lächeln. »Nein, danke.« Dann ließ sie den Inhalt des Beutels in ihre Hand gleiten. »Sie ist wunderschön, habt vielen Dank, Monsieur!«, sagte sie mit ehrlicher Bewunderung für die Goldkette mit dem schmetterlingsartigen Anhänger, der aus Hunderten winziger roter Steine gefertigt war.
Cosmè schien zufrieden. »Dann behaltet Ihr sie?«
Jeanne zögerte.
»Bitte, es ist ein Geschenk aus Bewunderung für Eure Schönheit. Alles andere hat Zeit.« Als wäre das eine Selbstverständlichkeit, goss der Kaufmann ihnen Milch in die Becher und schnitt sich ein Stück Brot ab.
»Vielleicht begleitet Ihr uns heute ins Schloss, Cosmè? Am frühen Nachmittag wird die Kurfürstin zu einem Konzert erwartet, bei dem Jeanne ein Solo spielen darf«, lud Endres den Franzosen ein.
»Leider bin ich durch geschäftliche Verpflichtungen gebunden. Ich möchte Euch jedoch für den übernächsten Abend in mein Quartier zum Essen einladen. Es ist das Koesterhaus gegenüber der Sophienkirche.«
Endres sagte zu, wobei Jeanne das Gefühl hatte, als wäre diese Verabredung schon vorher geplant gewesen. Ein Niederländer trat zu ihnen. »Herr Paullet, gut, dass ich Euch hier finde. Wir sind auf dem Weg zum Rathaus, um über die Erhöhung der Zölle für die Elbgüter zu sprechen. Wollt Ihr uns begleiten? Ihr kennt die Amtmänner länger als wir.«
Cosmè Paullet erhob sich unter vielen Entschuldigungen und ließ sich die Einladung von Endres noch einmal bestätigen, wobei er jedoch Jeanne ansah, die den Blick gesenkt hielt. Als der Franzose gegangen war, wandte sie sich entrüstet an ihren Vater. »Ist diese Heirat bereits beschlossene Sache?«
»Aber nein, Jeanne. Ich werde dich nicht gegen deinen Willen verheiraten, das habe ich dir versprochen, und dazu stehe ich. Allerdings musst du zugeben, dass viele Argumente für Cosmè sprechen, und wir sollten ihn anhören.« Endres zerteilte seinen Käse in kleine Stückchen. »Wenn Scandello dir ein festes Gehalt und eine dauerhafte Anstellung bietet und ich die Theorbe verkaufe, vertrösten wir Monsieur Paullet.«
»Gebe der Herr, dass die Kurfürstin heute von meiner Darbietung
angetan ist, dann wird Meister Scandello mich ganz sicher einstellen.«
Welche der Hofchargen den Aufruhr unter den Marschällen verursacht hatte, wusste Jeanne nicht, doch Meister Scandello wirkte verärgert und fuchtelte wild mit den Armen, woraufhin eine Gruppe Tänzer in türkischen Kostümen orientierungslos über die Theaterbühne lief und zwei wie römische Gladiatoren gekleidete Männer ihre Fesseln aus vergoldeten Tauen auf den Boden warfen.
»Es ist zum Haareausraufen!«, fluchte der Maestro. »Erst heißt es, wir sollen den türkischen Aufzug heute Nachmittag bringen, und jetzt bekomme ich eine Notifikation, die mir vorschreibt, den Aufzug auf den morgigen Abend zu verlegen. Mal hü, mal hott, wie es den Herrschaften beliebt …«
Ein hochrangiger Höfling mit gezwirbeltem grauen Schnurrbart baute sich vor Scandello auf. »Ginge es nach mir, Herr Kapellmeister,
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