Die Lautenspielerin - Roman
hättet Ihr weitaus weniger Freiheiten in der Gestaltung der konzertanten Aufführungen.«
Scandello, der zu Antonio und den Musikern gesprochen hatte, fuhr erschrocken herum. »Signor Hofmarschall! Ihr müsst verstehen, es steckt viel Arbeit und Mühe in den Vorbereitungen.«
»Allein die Wünsche der Königlichen Hoheiten sind maßgebend. Ich denke, das kann auch ein italienischer Musikus begreifen.« Glücklicherweise wurde der überhebliche Hofmarschall abgerufen, und Scandello atmete tief durch. »Dieser Ignorant bringt mich eines Tages dazu, ihm die Kehle durchzuschneiden.«
Antonio, der elegante Tänzer, dehnte die Arme und sagte: »Es sind immer Menschen ohne Liebe zur Kunst, die in den wichtigen Ämtern sitzen. Also nur Musik heute Nachmittag, Maestro?«
Der Kapellmeister nickte, und Antonio scheuchte die jungen Tänzerinnen von der Bühne. Jeanne war von der Vielfalt der Kostüme beeindruckt: Es gab grüne, gelbe, weiße und gestreifte
Oberkleider mit goldenen und silbernen Schleifen, darunter trugen die Tänzerinnen rosenfarbene Leibchen, dazu Gürtel und Federschmuck. Von ihrem Platz aus konnte sie ihren Vater beobachten, der mit einem älteren, dunkel gewandeten Herrn sprach. In seiner sparsamen Gestik und mit der schwarzen Kleidung erinnerte der Mann sie an die Hugenotten ihrer Heimat. Da entdeckte sie Gerwin in Begleitung des schönen Seraphin. Bereits am ersten Tag bei Hofe hatten ihr die Tänzerinnen und Musikerinnen von Seraphins Tanz- und Verführungskünsten vorgeschwärmt. Ihr Interesse galt jedoch allein dem angehenden jungen Medicus. Es lag eine Verwundbarkeit und Traurigkeit in seinen Augen, die sie berührten.
»Signorina! Wir warten auf Euer Solo!«, zerschnitt die Stimme Scandellos ihre Träumereien.
»Pardon.« Sie konzentrierte sich auf die Courante »Phaëton«. Jeannes Laute war sechschörig, wobei je zwei dicht nebeneinanderliegende Saiten einen Chor bildeten. Die meisten Lautenisten spielten nach Gehör, und wenn dies nicht bereits geschehen war, notierten sich die Musiker ihren Part in der für die Laute üblichen Tabulatur. Bei dieser speziellen Notation wurden die zu greifenden Chöre der Laute mit Buchstaben und Zahlen Bund für Bund vom tiefsten bis zum höchsten Chor bezeichnet. Dergestalt wurde der anzuschlagende Chor mit dem dazugehörigen Ort auf dem Griffbrett angegeben. Im Falle der vorliegenden Courante brauchte Jeanne sich nur an dem bereits vorliegenden Blatt zu orientieren. Da das Tabulatursystem rhythmische Zeichen nur zu Taktbeginn und bei Wechseln zu anderen Notenwerten angab, musste der Lautenist die Tondauer selbst bestimmen. Jeanne nutzte den Formulierungsspielraum und variierte die Melodie nach Gefühl.
Scandello schien zufrieden, denn er unterbrach sie mit einem freundlichen »grazie« und entließ sie. Anschließend probte er die übrigen auf dem Programm stehenden Stücke mit den Musikern
und Sängern, die bereits auf der Bühne waren. Bis zum offiziellen Beginn des Konzerts blieb Jeanne noch etwas Zeit. Sie hängte sich ihre Laute mit einem Band über den Rücken, denn das Instrument war zu kostbar, als dass sie es unbeaufsichtigt lassen wollte, und machte sich auf die Suche nach ihrem Vater, der den Saal an der Seite des schwarz gekleideten Herrn verlassen hatte.
Das Schloss war eine Vierflügelanlage, und bisher hatte sie kaum mehr als die Empfangsräume, das Theater und zwei kleine Säle gesehen. Aus Frankreich kannte sie einige herrschaftliche Anwesen, doch keine fürstliche Residenz dieser Größenordnung. Nach den tristen Eindrücken von Helwigsdorff und Freiberg, das sie auf ihrem Weg nach Dresden durchquert hatten, war sie von den lichtdurchfluteten, mit Stuck und Skulpturen reich ausgestatteten Räumen überwältigt. Vielleicht war es auch das lebendige Durcheinander von Höflingen, Dienern, Pagen und Zwergen mit entzückenden kleinen Hunden, das sie in eine fast euphorische Stimmung versetzte und die hinter ihr liegenden schweren Zeiten einen Moment vergessen ließ.
Sie spazierte durch einen langen Flur, an dessen Ende zwei Bewaffnete ihre Hellebarden vor einer Flügeltür kreuzten. Der Theorbenspieler hatte ihr erzählt, dass sich die berühmte Wunderkammer des Kurfürsten im Westflügel befand.
Da sie ihren Vater nicht entdecken konnte, wandte sie sich an einen Zwerg mit grünroter Zipfelmütze, an deren Spitze ein Glöckchen bimmelte. »Sagt, wie finde ich die Wunderkammer?«
Der Kleinwüchsige verneigte sich artig und schüttelte den
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