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Die Lava

Die Lava

Titel: Die Lava Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Magin
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Ich muss schwimmen, nicht strampeln, ging es ihr hektisch durch den Kopf, dann aber fühlte sie mit einem Fuß etwas Weiches, und plötzlich hatte sie Boden unter den Füßen, musste nicht mehr schwimmen und konnte – wenn auch nur mit Mühe – gehen.
    Mit letzter Kraft drückte sie den Mann durch das seichteWasser, danach an das Ufer. Sie schleppte sich aus dem See, tropfend nass. Sie fror.
    »Hilf mir, Clara«, hauchte sie, »bitte.«
    Das Kind stand nur erschrocken da. Was mutete sie ihrer Tochter auch zu! Franziska kniete sich in das Gras, ergriff die ausgestreckten Arme des Mannes und schleifte ihn an Land. Sie ließ ihn liegen, mit den Füßen noch im Wasser, völlig kraftlos. Sie atmete schwer.
    Franziska lehnte sich gegen einen Baum, keuchte. Aber es gab Wichtigeres zu tun. Sie ging in die Hocke, neigte ihren Kopf und legte ihr Ohr auf die Brust des Mannes.
    Alles in ihr pochte. Alles in ihr schmerzte. Sie hörte nichts, vermutlich war der Mann längst tot, und sie hatte sich völlig unnötig in Gefahr begeben.
    Es dauerte – so schien es ihr – Stunden, bis sich ihr wild klopfendes Herz etwas beruhigt hatte.
    Da hörte sie es.
    Sein Herz schlug ganz sachte, kaum wahrnehmbar.
    Der Mann lebte noch!
    Franziska wühlte nach ihrem Handy in der Tasche, die sie am Ufer abgestellt hatte. Ihre Kleidung war klatschnass. Sie zitterte. Was für ein Glück, dass die wärmende Sonne schien! Trotzdem, hier unter dem Bäumen war es kühl. Endlich hielt sie das Gerät in ihren klammen Fingern. Es war gar nicht so einfach. Sie ließ das Handy wieder fallen, es rollte über den Boden.
    Clara hob es auf und reichte es ihrer Mutter.
    Franziska lächelte. Braves Mädchen!
    Wie war noch einmal die Notfallnummer? Man sollte so etwas stets programmieren. Aber das Handy war neu, und sie hatte das immer wieder verschoben. Jetzt bereute sie es.
    112. Das war es. 112.
    Sie tippte zweimal, vertippte sich jedes Mal, schaffte es endlich.
    »Schicken Sie einen Krankenwagen. Sofort.«
    Eine junge Stimme fragte sie nach Standort und Notfall. Sie schilderte kurz, dass sie einen Mann aus dem See gefischt hatte, der noch schwach atmete.
    Der Mann versuchte, sie zu beruhigen. Ein Helikopter würde kommen.
    Franziska sank in sich zusammen. Sie kam wieder zu sich, weil Clara ihr Sweatshirt ausgezogen hatte und sie damit trocken rieb. Müde öffnete sie ihre Augen und sah ihre Tochter an.
    »Du hast geschlafen«, flüsterte Clara sanft. »Ich habe dich trockengemacht und wieder aufgeweckt.«
    »Du bist ein tolles Mädchen.«
    Clara lächelte. Sie genoss das Lob. Sie merkte, wie erschöpft ihre Mutter war, konnte aber noch nicht begreifen, in welch ernster Gefahr sie tatsächlich noch vor wenigen Minuten geschwebt hatte.
    »Als du geschlafen hast, war sie wieder da.«
    »Wer war da?«
    »Die Teufelsblase. Gerade eben. Ganz groß!«
    Clara streckte ihre Ärmchen ganz weit auseinander, um zu zeigen, wie groß die Blase gewesen war.
    Franziska bemerkte einen Mann, der seltsam nutzlos dastand und sie anstarrte, einen dicken alten Mann.
    Sie rief ihn um Hilfe, doch der Alte drehte sich um und schlenderte davon.
    Der Flur erstreckte sich lang und grau vor ihr, in regelmäßigen Abständen fiel Licht aus den Fensternischen hinein. An den Wänden hingen leicht vergilbte Van- Gogh-Drucke, Sonnenblumen und Sternenhimmel. Der Blick ging in einen Innenhof, der immer im Schatten lag, das Gras war noch schwarz vom Winterschnee.
    Es roch nach Putz- und Desinfektionsmitteln. Sie mochteKrankenhäuser nicht, hatte mit Clara schon zu viel Zeit darin verbracht, und der Geruch der Putzmittel trieb ihr die Erinnerung an den langsamen Tod ihres Vaters wieder ins Gedächtnis. Die Leute schlichen über die Gänge, sprachen nur im Flüsterton. Jedes Licht wirkte so, als überlege es sich zweimal, ob es tatsächlich zum Linoleumboden vordringen wollte. Krankenhäuser waren kalte Orte, müde Orte, grau und novembrig. Es schüttelte Franziska, kein Zittern, denn mittlerweile war ihr längst wieder warm. Es schüttelte sie, weil sie sich fehl am Platz fühlte, aber auch, weil sie hier auf eine Nachricht über jemanden wartete, den sie nicht kannte und der dennoch plötzlich Bedeutung in ihrem Leben erhalten hatte.
    Franziska wartete vor der Intensivstation. Durch ein Glasfenster erkannte sie mehrere Ärzte, die um den Taucher herumstanden. Er lag auf einem Operationstisch, an Schläuche und Kanülen angeschlossen, von einem hellen Deckenlicht angestrahlt.
    »Ist das Ihr

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