Die Lava
skizzierte den Lauf des Rheins und der Mosel, trug als kleine Kreise die Maare ein und als kleine schwarze Punkte die großen Städte Mainz, Koblenz, Bonn und Köln.
»Hier«, sagte sie und deutete auf die Region zwischen Koblenz und Maria Laach, »kommt es regelmäßig zu kleinen Erdbeben und schwachen Erdbewegungen. Wir spüren das ja seit Tagen. Normalerweise stammen Erdbeben von Bewegungen der Kontinentalplatten, hier aber ist es das Grundwasser, das von dem Magma erhitzt wird und die Erde zittern lässt. Ja«, beendete sie ihr Interview bedeutungsschwer, »ja, es könnte sich jederzeit wiederholen.«
3
Franziska hatte am nächsten Morgen kaum ihre Tasche abgestellt und ihren Computer angeschaltet, als schon das Telefon klingelte. Es war der Polizist vom Vortag. Er erkundigte sich vor allem nach dem genauen Ort, an dem sie den Taucher zuerst gesehen hatte, und dem exakten Zeitpunkt, den Franziska allerdings nicht mehr nennen konnte.
»Und Sie können mir bestätigen, dass Sie den Mann nicht kennen?«
»Nein. Ich habe ihn nie zuvor gesehen. Wer war der Mann denn? Und was suchte er im See?«
»Das darf ich Ihnen leider nicht sagen. Wenn ich Sie richtig verstanden haben, dann waren sie ganz zufällig am See?«
Seltsame Fragen, dachte Franziska. Nun nur nichts falsch machen.
Der Polizist interpretierte ihr Zögern ganz richtig. »Es tut mir leid«, erklärte er, »aber ich muss diese Fragen stellen.« »Nein«, antwortete Franziska. »Ich war nicht zufällig am See.«
»Warum waren Sie dann am See?«
»Es ist mein Job. Einmal am Tag gehe ich die Peripherie ab und schaue, ob alles noch so ist wie am Tag zuvor.«
»Was soll denn bei so einem See so wichtig sein?«
Offenbar wusste der Polizist nicht, dass der Laacher See ein tendenziell aktiver Vulkan war, offensichtlich hatte er am gestrigen Abend auch nicht den Regionalsender geschaut. Franziska setzte ihre Touristenführerstimme auf: »Wissen Sie, es gibt sicher Leute, die auf die schimmernde Oberflächedes Sees starren und dort nur den Himmel sehen, der sich im Wasser reflektiert. Aber für mich … für mich ist diese Seeoberfläche kein Spiegel, der die Sonne reflektiert, für mich ist sie das Dach einer anderen Welt. Ich sehe den Krater, der unter der Oberfläche liegt. Und in diesem Krater brodelt Lava.«
Das Schweigen am anderen Ende der Leitung verriet im günstigsten Fall Desinteresse – oder aber der Beamte hielt Franziska für eine Spinnerin.
»Ich kontrolliere, ob der Vulkan ausbricht«, ergänzte Franziska daher schnell.
»Ah, ja«, sagte der Polizist so langgedehnt, als verstünde er. Vermutlich wollte er nur zusätzliche Erklärungen abblocken. »Halten Sie sich bitte weiterhin zur Verfügung und sagen Sie mir vorher, falls Sie die Gegend für eine längere Zeit verlassen wollen.« Dann legte er auf.
Das Telefonat war gerade beendet, da kam ihr Chef in das Zimmer. Uwe Lauf sah verärgert aus. Franziska hatte bereits beim Betreten des Büros eine seltsame Stimmung bemerkt.
»Na, wie geht es unserem Fernsehstar?« Lauf sprach mit einer deutlichen Missbilligung in der Stimme.
»Es wollte ja kein anderer in die Sendung gehen«, murmelte Franziska entschuldigend. Plötzlich fühlte sie sich sehr unsicher. Sie kannte Uwe Lauf als guten Chef, der selten aus der Ruhe zu bringen war. Nun klang er mühsam beherrscht.
»Ich hatte heute Morgen einen Anruf von oben«, erklärte Lauf und deutete mit dem Zeigefinger zur Decke. »Die oben«, so nannte Lauf die Geldgeber, die den Betrieb hier aufrechthielten und die man nicht verärgern durfte.
»Sie haben vor einem Ausbruch eines Supervulkans gewarnt, Köln und dem ganzen Rheinland den flammenden Untergang prophezeit. Wie fühlt man sich so als Nostradamus?«
»Aber«, verteidigte sich Franziska, »es gibt doch Warnzeichen, die wir ernstnehmen sollten. Man hat große Gasblasen gesehen, viel größer als die kleinen blubbernden Mofetten.«
»Wer hat denn diese Blasen gesehen?«, rief Lauf wütend.
»Meine Tochter«, gab Franziska kleinlaut zu. Sie merkte selbst, wie töricht diese Auskunft klang.
»So, Ihre Tochter. Und wie alt ist sie?«, fragte er rhetorisch.
»Fünf.« Franziska sah auf. »Fünf Jahre ist Clara alt.«
Lauf stemmte die Fäuste in die Hüften. Dann atmete er hörbar ein paar Mal ein und aus. »Also – eine perfekte wissenschaftliche Zeugin«, erklärte er spöttisch. »Was genau hat Ihre Tochter Clara denn in dem See beobachtet?«
»Einen Wasserteufel«, fuhr es aus
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