Die Lava
Der ganze Berg lagerte sich so in der Umgebung ab. Unmittelbar neben dem Vulkan am stärksten. Etwa zwei Kilometer vom See entfernt sind die Ablagerungen an der Wingertsbergwand über fünfzig Meter hoch, im ganzen Mittelrheingebiet immerhin noch durchgängig einen Meter; aber man hat diese Schicht bis Gotland im Norden und Norditalien im Süden nachweisen können.«
»Das war also so eine Art GAU?«, warf der Moderator ein.
»Das könnte man so sagen. Nach einigen Wochen kam alles noch schlimmer. Als wäre nicht schon genug geschehen, brach nun die über dem Krater stehende Bims- und Aschesäule in sich zusammen, und die sogenannten pyroklastischen Ströme, Lawinen aus Sand, Stein, Bims und kochender, bis zu 800 °C heißer Luft, wälzten sich mit Spitzengeschwindigkeitenvon 1400 Stundenkilometern entlang der Täler und Niederungen. Dort erstickten sie jedes noch verbliebene Leben. Plinius hat diese Ströme in seinem Bericht über den Untergang von Pompeji beim Ausbruch des Vesuvs geschildert.«
»Dann aber war alles vorbei?«, stieß der mittlerweile recht unglücklich wirkende Moderator hervor.
Franziska redete schnell weiter. Sie bemerkte nicht einmal, wie die Scheinwerfer einen Sekundenbruchteil lang wankten, weil ein kleiner Erdstoß sie ins Wackeln brachte.
»Einer dieser pyroklastischen Ströme, ein Tuffstrom, heiße Asche, die sich fast wie Wasser verhält und am Bodenrelief entlangfließt, erreichte den Rhein und war so mächtig, dass er dessen Lauf sperrte. Eine Art natürlicher Stausee mit bis zu fünfzehn Metern Tiefe entstand, dessen Fläche wohl an die achtzig Quadratkilometer betrug. Das entspricht genau der Oberfläche des bayerischen Chiemsees, der immerhin unser drittgrößter See ist. Zum Vergleich: Der Spiegel des Laacher Sees misst nur ganze drei Quadratkilometer!
Irgendwann brach dann dieser Damm durch den enormen Wasserdruck, der auf ihm lastete, vermutlich sogar zu der Zeit, als kleinere Eruptionen des Laacher Vulkans längst noch andauerten, und ein Sturzstrom, eine gewaltige Sintflut, die gesamte ungeheuere Wassermasse dieses Sees raste das Rheintal entlang und schwemmte alles fort, was ihr im Weg war.«
Unterschiedliche Forscher vertraten abweichende Ansichtung und Zeitabläufe bei diesem vulkanischen Großereignis. Für ihren Fernsehauftritt wählte Franziska die spektakulärste und dramatischste Version.
»Aber heute wirkt doch alles so friedlich?« Der Moderator warf einen verstohlenen Blick auf seine Armbanduhr, er musste die Sendezeiten einhalten und wollte endlich einen Schlusspunkt setzen.
»Das Leben geht immer weiter. Wir haben Belege dafür, dass das komplett verwüstete Land bald wieder von ersten Pflanzen besiedelt wurde und dass nomadische Menschen hier Station machten.«
»Könnte so ein Ausbruch heute wieder geschehen?«
»Der Laacher See liegt über einem sogenannten Hot Spot, etwa wie Hawaii. Und der Vulkanismus ist in der Region nie erloschen. Jeder kann sich davon überzeugen, wenn er beispielsweise die Mofetten am Ostufer des Laacher Sees besucht.«
»So heftig wird das nicht noch einmal sein, oder?«, meinte der Moderator, um einen versöhnlichen Abschluss bemüht.
»Ich fürchte, doch. All das könnte heute wieder passieren. Nur: Heute wäre es noch schlimmer, viel schlimmer. Heute ist die ganze Gegend viel dichter besiedelt.«
»Aber das war bislang die letzte Eruption hier?«
»Es gibt über fünfzig Vulkane in der Eifel. Die Eruption des Laacher Sees war sicher der gewaltigste Ausbruch. Aber er war nicht der letzte.«
»Wo fand denn der letzte statt?«
»Am Ulmener Maar. Das sieht jetzt so friedlich aus, weil es wie ein Teich am Dorfrand liegt, aber es ist der jüngste Eifelvulkan und ist vor 11 000 Jahren ausgebrochen – 9000 vor Christus.«
»Und seither ist nichts mehr geschehen?«
»Die Eifel schläft nur, doch sie ist nicht erloschen. Denken Sie an die Geysire von Wallenborn und Andernach oder die Gasbläschen im Laacher See. Das ist Kohlendioxid, das direkt aus dem Magma aufsteigt.«
»Das sind doch aber harmlose …«
»Nun, seit die Aktivität hier vor 450 000 Jahren begann, hat jede Welle von Vulkanausbrüchen in der Eifel Zehntausende von Jahren gedauert. Und der Ausbruch des Laacher Vulkans war der erste seit 100 000 Jahren. Eigentlich befindenwir uns in einer Eruptionsphase der Vulkane. Wir merken nur nichts davon, weil es außergewöhnlich ruhig ist. Das muss aber nicht so bleiben.«
»Gibt es dafür denn Anzeichen?«
Franziska
Weitere Kostenlose Bücher