Die Lava
und ihre Faszination für die ungebändigten Naturkräfte ließen sie immer weiter sprudeln.
»Damals kam das aufquellende Magma aus dem Erdinneren nach oben.« Sie blickte ins Publikum. »Es gab schon Menschen, aber die ahnten nicht, was ihnen bevorstand – der letzte Ausbruch der Eifelvulkane lag in dieser Zeit bereits 100 000 Jahre zurück. Dann aber, vor 12 900 Jahren, etwa zu Ende der letzten Eiszeit, drang das 1000 Grad heiße Gesteinsgemisch plötzlich und rasend schnell vom Erdinneren an die Oberfläche. Die riesige Magmakammer knapp unter dem Erdboden war prallvoll mit stark gashaltiger Schmelze. Als sich zu viel Gas angereichert hatte, sorgte der Überdruck für eine apokalyptische Explosion. Die Eruption riss den Berg praktisch in Fetzen. Es ereignete sich in der zweiten Julihälfte, das kann man anhand der durch den Ausbruch konservierten Pflanzenreste erkennen.«
Während Franziska mit dem Moderator sprach, blendete der Sender Archivbilder ein: graue, schrundige Erdspalten, aus denen schwefelig-gelber Dampf quoll, hohe Feuerzungen, die aus Kraterlöchern bleckten, Fontänen aus bernsteinfarbenen Glühfäden, einen Kirchturm, der aus einer Masse vulkanischen Schlamms herausstand, die das gesamte übrige Dorf völlig überflutete, träge Gletscher aus geschmolzenem Gestein, die sich zäh über das Land wälzten und dann ins Meer schoben. Kurz: ein Sammelsurium sämtlicher vulkanischen Katastrophen und Eruptionen der letzten zwanzig Jahre, Aufnahmen von Island, vom Stromboli, aus Hawaii. Praktisch keine der Aufnahmen, die da im Hintergrundflimmerten, hatte irgendetwas mit der Art Vulkanismus zu tun, der in der Eifel erwartet wurde. Es handelte sich zudem um ganz harmlose Bilder von regelmäßig vorkommenden, im Grunde absehbaren und kontrollierbaren Vorgängen. Zum Stromboli fahren die Touristen in Schiffen und übernachten dann im Krater, um schöne Bilder zu schießen. Der Laacher See würde es den Menschen nicht so einfach machen.
»Jedenfalls explodierte eines Tages der ganze Berg – die älteren Zuschauer erinnern sich vielleicht noch an die dramatische Eruption des Mount St. Helens in den USA im Jahre 1980. Dort wurde die Bergkuppe fortgesprengt; hier, am Laacher See, wurde der gesamte Berg mit Überschallgeschwindigkeit nach oben geblasen, aber diese Eruption führte auch Gestein bis aus einer Tiefe von tausend Metern mit sich. Wochenlang stand wohl über dem Krater eine sogenannte Eruptionssäule, die vierzig Kilometer hoch in die Atmosphäre ragte: eine Art fliegender Berg. Jede Sekunde blies der Berg eine halbe Million Tonnen Material in die Atmosphäre! Die Druckwelle dieser Explosion rollte wie eine Mauer aus Beton über das Land, der Schall entwurzelte Bäume und zerstampfte Felsen. Sie mähte alles nieder, jeden Baum, jeden Strauch, jeden Grashalm.
In dieser Weise also entleerte sich die Magmakammer in einer Eruption von Bims und Asche. Der Ausbruch dauerte wohl nicht länger als zwei Tage. Darauf brach die Erde über der nun leeren Kammer in die zwei Mal drei Kilometer messende Caldera zusammen.«
Der Moderator wollte etwas einwerfen, aber sein Versuch, Franziskas Redestrom einzudämmen, misslang. Franziska, aufgeregt wie sie war, sprach einfach weiter.
»Zuerst müssen kleine Erdstöße und dann gewaltige Erdbeben die Region um den Berg erschüttert haben. Die Gegend war damals bewachsen, es gab dichte Pappelwälder,und man hat die durch den Ausbruch konservierten Fußspuren und Trittsiegel von Wolf und Fuchs, von Braunbären und Rotwild, von Auerhähnen und sogar von Pferdeherden entdeckt. Auch Menschen lebten damals bereits entlang des Rheins. Man hat mehrere Lagerplätze mit Werkzeugen und Feuerstellen ausgegraben. Die Menschen waren damals noch Nomaden, sie folgten den großen Tierherden und jagten sie mit Pfeil und Bogen und langen Eichenspeeren.
Als die weiße Gas- und Aschesäule bis in mehrere zehntausend Meter Höhe geströmt war, traf sie dort auf viel kühlere atmosphärische Schichten. Die Kollision erzeugte gewaltige Wolkenballen, und aus diesen entluden sich furchtbare Gewitter, die sintflutartige Sturzbäche herabregnen ließen, die tiefe Furchen in die alles überdeckende Ascheschicht gruben und dem Becken zuströmten.
Das niederprasselnde Wasser sammelte sich im Kessel, traf dort auf die heiße Lava, es kam zu einer erneuten Explosion, die Felsbrocken in die Umgebung schleuderte.
Aus dieser Eruptionssäule regnete, vom Wind fortgetragen, Asche und Bimsstein herab.
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