Die Lava
Zeit?«
»Nein, das kommt jetzt nicht immer. Du brauchst dich nicht zu erschrecken, das war nur ein kleiner Erdstoß. Da passiert nichts!«, beruhigte Franziska ihre Tochter. Aber so einfach verhielt es sich nicht – leichte Erdstöße waren an sich nichts Ungewöhnliches, doch die Häufigkeit, in der sie gerade vorkamen, stellte ein deutliches Alarmzeichen dar.
Franziskas Handy vibrierte: eine SMS. Sie klickte sie an: »Es ist zwar noch keine Schlafenszeit, aber ich schicke trotzdem ein kleines Lebenszeichen – bis später, Joe.«
»Bis später!«, simste Franziska zurück.
Dann überlegte sie es sich anders. Sie konnte nicht warten, nahm ihr Mobiltelefon und wählte seine Nummer.
Er war überrascht, als er abnahm. »Na, hast du Sehnsucht?«, wollte er keck wissen.
Franziska schluckte, entschied sich dann, so zu tun, alshandle es sich um etwas Berufliches. Wie ein Teenager!, dachte sie. Man will etwas und lügt, damit es leichter fällt, und der andere erfährt nicht, dass man tatsächlich nur seine Stimme hören wollte.
»Wir hatten hier einen leichten Erdstoß …«
»Tatsächlich? Hier war nichts zu spüren.«
Franziskas Herz pochte. Fast hätte sie sich entschuldigt, begann dann, umständlich zu erklären. »Doch, doch – hier hat es gebebt. Wenn du nichts gespürt hast, dann war es wohl ein sehr lokales Beben und …«
»Schon gut, ich glaube dir ja«, unterbrach sie Joe.
»Ich habe mir überlegt, dass ich einen Spaziergang um den See mache, nachts, wenn alles kühl ist, und dann die Seeoberfläche mit einer Wärmebildkamera fotografiere. Das könnte uns Auskunft darüber geben, ob sich das Wasser an manchen Stellen erwärmt.«
»Das würde ich nicht machen!«, stieß Joe hervor. Er lag auf dem Sofa und hatte sein Fernsehgerät auf stumm gestellt, als das Telefon klingelte, aber jetzt saß er aufrecht und äußerst angespannt da.
»Warum nicht?«
»Zu gefährlich – nachts«, log Joe. Er konnte kaum sagen, dass er befürchtete, sie könnte ihn bei einem seiner Tauchausflüge, sollten sie plötzlich nötig sein, aufspüren und die Polizei alarmieren, weil das Tauchen im See ja strikt untersagt war. Oder was könnte alles passieren, wenn sie zufällig auf diese anderen Taucher stieß, die sich ebenfalls im See herumtrieben?
»Was soll daran gefährlich sein, wenn ich ein paar Wärmebildaufnahmen mache«, fragte Franziska erstaunt nach.
Durch den Spalt, den die nur angelehnte Tür zum Kinderzimmer ließ, klang Dudelsackmusik zu Franziska herüber. Sie lächelte gequält.
»Was war denn das?«
»Clara. Sie liebt den Dudelsackspieler.«
»Schön, dass ihr mein Geschenk gefällt.«
»Ja, sie spielt schon die ganze Zeit damit, und jetzt hält es sie auch noch vom Schlafen ab«, klagte Franziska mit gespieltem Unverständnis.
»Besser, als wenn das ein Erdbeben übernimmt«, stellte Joe fest.
»Vielleicht werde ich auch Unterwassermikrofone versenken«, griff Franziska die Unterhaltung über den Vulkan wieder auf. »Dadurch kann man heiße Quellen und sonstige fremde Geräusche im See orten. Wenn diese Störgeräusche zunehmen, heißt das, dass da unten etwas vorgeht.«
Und ob da unten etwas vorging! Joe befand sich praktisch jeden Tag mindestens einmal unter Wasser, um das Wrack aufzuspüren, tauchte einen möglichen Liegeplatz nach dem anderen ab und untersuchte ihn genau, und er achtete auch auf unterseeische Hangrutschungen oder andere Anzeichen vermehrter seismischer Aktivität. Aber das durfte niemand wissen – und selbst Unterwassermikrofone konnten dazu führen, dass Franziska ihn bei seinen Tauchgängen unbeabsichtigt aufspürte und auf diese Weise das ganze Unternehmen in Gefahr brachte. Aber wie riet er ihr überzeugend davon ab, ohne wie eine Memme zu klingen?
»Hast du denn die Mittel dafür? Ich meine, kann sich das Forschungsinstitut das leisten?«, tastete er das Terrain vorsichtig ab.
»Unterwassermikrofone kann man besorgen und dafür Fördergelder beantragen«, erwiderte Franziska.
Joe atmete auf. MacGinnis konnte so etwas recht einfach verhindern. Schließlich waren sie ja auch im Auftrag der deutschen Behörden hier, die kein Interesse daran hatten, dass die Aktion an die Öffentlichkeit gelangte.
»Die Wärmebildkamera haben wir – das klappt auf jeden Fall«, fuhr Franziska fort.
»Ich halte das für viel zu gefährlich«, wandte Joe erneut ein. Er hasste sich dafür, dass er sie anlügen musste. Mit Entsetzen stellte er sich vor, wie er von einem nächtlichen
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