Die Lava
sanfte Erhebung. Darunter war Metall.
Der Rumpf verlor sich wenige Meter entfernt bereits in der Finsternis, und Joe tauchte vorsichtig daran entlang. Er näherte sich einer Kante, hier fiel der Seeboden abrupt um mehr als eineinhalb Meter ab. Er kannte diese Stelle von den Aufzeichnungen des Side-Scan-Sonars. Genau an dieser Abbruchkante, die insgesamt keine zwanzig Meter lang war, hatte Andrew Neal die Anomalie registriert: Genau hier befand sich auf der topographischen Karte des Seebodens das Kreuz.
Er schaltete die Lampe an. Allmählich schälte sich die Verlängerung der Bodenwelle aus dem Dunkel: eine Pilotenkanzel. Glassplitter starrten aus der Öffnung.
Joe tastete sich heran. Jeder seiner Flossenschläge wirbelte Schlamm auf, und die Schwebeteilchen reflektierten das Licht, so dass das aufgewühlte Wasser das Licht seiner Taschenlampe bereits nach wenigen Fuß wieder völlig verschluckte.Er vermochte nur das zu erkennen, was gerade noch in Reichweite seiner Hände lag.
Langsam ergriff eine eigentümliche Aufregung Besitz von Joe. Hatte er es endlich geschafft? War die Suche nun zu Ende? Konnte man endlich daran gehen, das lange verschollene Wrack und seine gefährliche Ladung zu bergen – und die Ladung unschädlich zu machen?
Hutter blies mit Druckluft den Schlamm fort, wartete, bis sich die Trübnis ein wenig gelegt hatte. Schattenhaft konnte man nun die Umrisse des Flugzeugwracks erkennen. Wie eine alte, vergilbte Schwarzweißfotografie lag die Maschine vor dem grauen Hintergrund des Seebodens.
Er schwamm auf die Pilotenkanzel zu. Überall fand er Spuren frischer Kratzer im Lack, Beulen, als hätte man mit einem schweren Eisenrohr gegen den Rumpf geschlagen. Hier musste jemand versucht haben, das Cockpit mit einem Stemmeisen aufzuhebeln.
Er ließ sich nach oben treiben, um das ganze Wrack besser zu überschauen. Bald verloren sich die Enden der Maschine im Halbdunkel. Er glitt zurück zum Grund.
Auf den Fotos hatte die Halifax, ein großer Bomber, anders ausgesehen. Hatte der Aufprall eine solche Kraft gehabt? Alles schien ihm zu klein – eventuell verzogen, verbogen, daher nun unkenntlich.
Ein kahler Ast eines vielleicht vor vielen Jahren in den See geschwemmten toten Baumes griff aus dem Bodensediment nach ihm wie eine Knochenhand. Ein Schwarm unauffälliger grauer Fische tänzelte um die dürren Zweige und flog davon, als er sich näherte. Der ebene Boden war hier von Tausenden kleiner Krater überzogen – vielleicht Stellen, an denen Fische nach Nahrung gewühlt hatten, oder kleine Schlote, aus denen vulkanische Gase austraten.
»Ich habe das Flugzeug gefunden!«, meldete Joe trotz seiner Zweifel per Funk an die Bodenmannschaft.
In der Nähe der geborstenen Glaskuppel wölbte sich ein mit Algen überwucherter Fels aus dem grauen Boden wie die Rückenflosse eines Urzeitfischs. Joe tauchte näher heran. Es war ein Stuhl, etwas mit Flächen, die im rechten Winkel zueinander standen. Müll im See? Nein, nun erkannte er es deutlicher: Es handelte sich um das Höhenleitwerk und einen Hinterflügel eines Flugzeugs. Der Flügel auf der linken Seite des Leitwerks fehlte – vermutlich hatte es ihn beim Aufprall auf den See abgerissen, er war fortgeschleudert worden und an irgendeiner anderen Stelle des Gewässers versunken.
Wenn das aber das Leitwerk war, dann konnte das unmöglich die Halifax sein – oder der gesamte Mittelteil lag woanders. Es ruhte ja, nur knapp vierzig Fuß von der Pilotenkanzel entfernt, auf dem Boden. Ein furchtbarer Verdacht stieg in Joe auf. Er schob sich zur Pilotenkanzel, vermaß dabei die Länge des Wracks.
Tatsächlich stimmte alles an diesem Wrack nicht. In der Kanzel war nur Platz für einen Mann Besatzung. Die Trümmer, die im Ganzen noch intakt schienen, wirkten viel zu kurz – weniger als vierzig Fuß: Das konnte keine Halifax sein.
Joe tauchte zurück zu dem Höhenleitwerk und wischte den Überzug aus grünen Algen und eine dünne Schlammschicht zur Seite, darunter fand er, in Weiß auf einen tarnfarbenen Untergrund gepinselt, schon leicht abgeblättert, aber dennoch lesbar, die Seriennummer des Wracks. Er fuhr mit den Fingern die Zahlen nach und gab sie eine nach der anderen per Funk nach oben durch: »2–6–7 … nein 1, es ist eine 1–3–8. Das war’s.«
Er hörte, wie oben an Land jemand die Nummer in ein Keyboard eintippte.
»Wir haben es«, sagte Neal schließlich, »hier ist es: ›P-47D-22-RE Thunderboldt 42–26138 (48th FG, 494th FS) lost
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