Die Lavendelschlacht
Bild. Die meisten Fotos kannte ich natürlich schon, trotzdem hatte ich das Gefühl, sie zum ersten Mal zu sehen. Hier in der Galerie kamen sie wesentlich besser zur Geltung als auf Monas Wohnzimmertisch. Außer Faszination Lesen waren auch noch einige andere Aufnahmen ausgestellt.
Als ich in die Betrachtung einer Schwarzweißfotografie versunken war, die einen alten Mann und eine alte Frau Händchen haltend auf einer Parkbank zeigte, hörte ich hinter mir ein leises Hüsteln.
Ich drehte mich um. Es war Thomas, der hinter mir stand. Ausgerechnet!
»Heute muss mein Glückstag sein«, knurrte ich. »Sonst wärst du mir schon früher über den Weg gelaufen.«
Thomas ging nicht darauf ein. »Die Frisur steht dir.«
Eine neue Taktik? So leicht ließ ich mich nicht einseifen!
»Das Kleid übrigens auch.«
Meine Hände umklammerten das stilvoll geschliffene Sektglas wie einen Rettungsring. Grund genug zu der Befürchtung, dass dieses hauchdünne Etwas dem unkontrollierten Druck meiner zittrigen Finger nicht gewachsen sein würde. Zu dumm, warum gab es hier eigentlich keine Plastikbecher?!
Thomas fixierte mich durchdringend. Ich konnte seinem Blick kaum standhalten. Scheiße, sah der Mann gut aus! Ich schaute mich nach Valerie um, konnte sie aber nirgendwo entdecken. Um meine Verlegenheit zu überspielen, schlug ich einen flapsigen Ton an. »Wo hast du denn deine reizende Freundin heute gelassen? Wirklich schade, dass sie nicht hier ist, ihr entgeht etwas, findest du nicht?«
Thomas verdrehte die Augen. »Du begreifst es immer noch nicht, was? Valerie ist nicht meine Freundin.«
»Nicht? Ach, ist ja interessant. Das sah aber am Neujahrsmorgen in unserer Küche ganz anders aus.«
Thomas nestelte an seinem Hemdkragen herum. Vor Verlegenheit bekam er ganz rote Ohren. »Wir waren zwei-, dreimal zusammen im Bett. Reicht das als Information?«
Nein, das tat es ganz und gar nicht!
»Warum hat’s denn mit euch beiden Hübschen nicht hingehauen?«, bohrte ich.
»Muss ich dir das wirklich noch erklären?«
Ich ertrank beinahe in dem Wahnsinns-Blau seiner Augen.
»Du fehlst mir«, sagte er plötzlich wie aus heiterem Himmel.
In meinem Bauch begann es zu wimmeln und zu wuseln. Schmetterlinge? Der Heftigkeit nach zu urteilen, war es eher ein Hornissenschwarm!
»Du mir auch«, hörte ich mich selbst sagen. Ich stand ja wohl komplett neben mir! Hatte Thomas mir etwa irgendwas in den Sekt gemischt?
Wer den ersten Schritt gemacht hatte, konnten wir später selbst nicht mehr sagen. Plötzlich lagen wir uns in den Armen, ich spürte Thomas’ warme, weiche Lippen auf meinen, und wir versanken in einem innigen Kuss. Die Stimmen um uns herum verschwammen zu einem undeutlichen Murmeln. Obwohl der kratzige Stoff von Thomas’ Jackett wie Brennnesseln auf meiner Haut brannte, schmiegte ich mich so eng an ihn, wie es nur ging. »Lass uns von hier verschwinden«, flüsterte Thomas mir ins Ohr, als wir uns endlich voneinander trennten.
Ohne uns zu verabschieden, schlichen wir unbemerkt zum Ausgang. Ich war mir sicher, dass Mona, die sich gerade mit der Frau des Galeristen unterhielt, Verständnis dafür haben würde. Auch Josch war immer noch in seine Kunstdebatte vertieft. So schnell würde uns niemand vermissen.
Arm in Arm rannten wir zu Thomas’ Auto. Wir benahmen uns wie die Teenager und knutschten an jeder roten Ampel wild drauflos.
Mir war noch nie aufgefallen, wie weit der Weg von der Straße zu unserem Haus war, wie viele Stufen das Treppenhaus hatte, wie lange es dauerte, die Wohnungstür aufzuschließen. Endlich standen wir in der Diele.
Zwischen zwei heißen Küssen fingerte ich ungeduldig an Thomas’ Gürtelschnalle herum.
»Gehen wir zu mir oder zu dir?«
Wohlig räkelte ich mich unter meiner Bettdecke. Ach, was konnte das Leben schön sein! Mit geschlossenen Augen ließ ich mir den Duft von frisch gebrühtem Kaffee um die Nase wehen und lauschte auf das gedämpfte Geschirrklappern, das aus der Küche drang. In der vergangenen Nacht waren Thomas und ich übereinander hergefallen wie Verdurstende. Einerseits hatte es sich wunderbar heimelig und vertraut angefühlt, andererseits aber auch fremd und aufregend. Diese Mischung hatte mich fast um den Verstand gebracht. Am liebsten wäre ich ganz in Thomas hineingekrochen.
Als es draußen schon zu dämmern begann, konnte ich die Frage, die mir auf der Seele brannte, nicht länger zurückhalten. »Warum, Thomas? Warum?«
Er verstand sofort, worauf ich hinauswollte.
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