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Die Lazarus-Formel

Die Lazarus-Formel

Titel: Die Lazarus-Formel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivo Pala
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Eichelhäher schrie auf. Etwas hatte ihn aufgeschreckt. Eve schnaubte, wütend auf ihre eigene Überempfindlichkeit. Trotzdem schaute sie noch einmal zurück und lauschte. Alles still. Nichts deutete auf einen Verfolger oder einen zweiten spätabendlichen Besucher des Klosters hin.
    Sie verschloss den Wagen, steckte den Schlüssel in die Handtasche, ging zum Tor und betätigte den großen gusseisernen Klopfer. Das laute Dröhnen zerbrach die gespenstische Stille.
    Es dauerte etwas, dann hörte sie Schritte hinter der Mauer und wie jemand einen Schlüssel in dem alten Schloss herumdrehte. Die in das große Tor eingelassene kleinere Tür wurde geöffnet, und vor ihr stand ein kleiner alter Mann in einer grob gewebten Leinenkutte, der sie aus freundlichen Augen kurz musterte und dann hineinwinkte.
    »Guten Abend, Doktor Sinclair. Ich bin Bruder John. Wir haben telefoniert.«
    »Guten Abend, Bruder John.« Eve stieg über den Türbalken und ergriff die ihr zur Begrüßung entgegengestreckte faltige und von der Arbeit raue Hand. »Sehr liebenswürdig von Ihnen, mich um diese späte Uhrzeit noch zu empfangen.«
    »Wir freuen uns über jeden Besuch«, sagte Bruder John herzlich und schob die knarrende Tür hinter ihr wieder ins Schloss. »Es werden von Jahr zu Jahr weniger. Sie sind der erste in dieser Woche, und wir haben immerhin schon Wochenende. Für Bruder Arthur sind Sie der erste Besucher seit Jahren überhaupt. Er ist schon sehr gespannt zu erfahren, was Sie von ihm wollen. Und nicht nur er.« Der Mönch lächelte mit einem Feixen im Blick und stand mit leicht zur Seite geneigtem Kopf vor ihr, als würde er auf etwas warten.
    Eve verstand. Sie schenkte ihm ein bedauerndes Lächeln. »Was ich mit Bruder Arthur zu besprechen habe, ist vertraulich«, sagte sie freundlich.
    Der Mönch zuckte mit einem Seufzen die Schultern. »Sie verzeihen einem alten Mann hoffentlich seine Neugier. Hier gibt es so selten Neuigkeiten.«
    Mit einer Geste forderte er sie auf, ihm zu folgen, und gemeinsam gingen sie über den mit ausgetretenen Sandsteinplatten gepflasterten und spärlich beleuchteten Klosterhof hinüber zum Wohnturm. »Bruder Arthur hat uns bei seinem Beitritt eine sehr großzügige Summe gespendet, die uns damals davor bewahrte, das Kloster aufgrund mangelnder Einnahmen schließen zu müssen. Und er hat einen – wie sagt man noch gleich? Ah, ja – Fond angelegt, dessen jährliche Ausschüttung uns über Wasser hält. Wir haben ihm deshalb den Turm überlassen; um uns für seine Großzügigkeit zu revanchieren. Er lebt gern zurückgezogen, auch von uns.« Eve hatte das Gefühl, als hätte der Blick, mit dem Bruder John sie betrachtete, während er die Tür des Turms für sie öffnete, etwas Forschendes, das weit über die unschuldige Neugier eines alten Mannes hinausging. »Ich muss gestehen, ich bin sogar ein bisschen verwundert darüber, dass er Sie überhaupt empfängt.«
    Er stand in der offenen Tür, als wartete er auf die Beantwortung einer Frage, die er nicht laut gestellt hatte, und sah plötzlich gar nicht mehr so harmlos aus wie noch vor wenigen Augenblicken.
    Eve tat so, als würde sie es nicht bemerken, und setzte ihr freundlichstes Lächeln auf. Als Forscherin war sie nicht besonders diplomatisch, aber sie hoffte, dass es für einen alten Mönch reichte. »Sie müssen mich nicht ganz nach oben begleiten, Bruder John. Ich habe das Licht im Fenster gesehen, ich finde das Zimmer. Natürlich nur, wenn es Ihnen nichts ausmacht.«
    »Natürlich nicht.« Er erwiderte ihr Lächeln, und das Forschende in seinem Blick wich der resignierten Akzeptanz ihrer Verschwiegenheit. »Es gibt nur ein Zimmer dort oben. Sie können es gar nicht verfehlen.« Er kramte in einer Tasche und holte eine Kerze und einen kleinen Messinghalter hervor. »Hier. Die werden Sie brauchen. Im Turm gibt es keinen Strom.« Er steckte die Kerze in den Halter und reichte sie ihr. Dann holte er ein Päckchen Streichhölzer aus einer anderen Tasche, riss eines der Hölzchen an und hielt es an den Docht, bis er brannte. »Und seien Sie vorsichtig; die alte Holztreppe ist frisch gebohnert.«
    Eve betrat den Turm.
    »Ach, und noch etwas.«
    Eve drehte sich noch einmal zu ihm um.
    »Wie schon gesagt, Bruder Arthur lebt sehr zurückgezogen. Und das schon seit sehr langer Zeit. Also, wundern Sie sich bitte nicht, er ist ein bisschen … Na, sagen wir eigen. Ja, eigen trifft es ganz gut. Aber lassen Sie sich davon nicht abschrecken.« Bruder John lächelte

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