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Die Lazarus-Formel

Die Lazarus-Formel

Titel: Die Lazarus-Formel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivo Pala
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Schritt-Schritt-Schritt – Drehen – Springen. Sie knickte um.
    Ignorieren!
    Drehen – Schritt-Schritt-Schritt – Drehen – Springen. Erste Etage. Höllische Schmerzen im Fußgelenk.
    Bei Ballettaufführungen hast du Schlimmeres weggesteckt! Weiter!
    Einmal, da war sie dreizehn gewesen, hatte sie sich einen Tag vor einer Schulaufführung beim Picknick mit den Eltern an einem eisernen Gartentor den Fußnagel vom rechten großen Zeh abgerissen – und war dann trotzdem aufgetreten, um die Truppe nicht hängen zu lassen, den dicken Verband unter einem zwei Nummern größeren Schuh verborgen. Als die Lasky danach den voll gebluteten Schuh gesehen hatte, lud sie Eve am darauf folgenden Tag zu einer Kugel zuckerfreiem Joghurteis ein und teilte Eve kühl mit, dass sie ab jetzt die Prima tanzen würde.
    Drehen – Schritt-Schritt-Schritt – Drehen – Springen.
    Nicht atmen! Jetzt bloß nicht atmen! Nicht so kurz vor dem Ziel!
    Drehen – Schritt-Schritt-Schritt – Drehen – Springen.
    Erdgeschoss. Zur Tür! Sie fand sie. Sie qualmte bereits. Ihre Augen tränten, aber das Wasser trocknete fast sofort auf ihrer heißen Haut. Auf gar keinen Fall den gusseisernen Türgriff mit der bloßen Hand anfassen!
    Es stank nach verbranntem Haar, ihrem eigenen. Die Strickjacke brannte, aber Eve wusste, dass sie sich nicht die Zeit nehmen durfte, sie auszuziehen. Sie klemmte die Handtasche unter den Arm, nahm den ledernen Rucksack am Tragegurt, griff mit der freien Hand hinein und benutzte seine Vorderseite wie einen Topflappen. Der Griff versengte das Äußere des Leders mit einem Zischen. Sie drückte die Klinke nach unten und drückte die Tür auf. Wollte die Tür aufdrücken. Sie bewegte sich nicht einen Millimeter. Panik.
    Unterdrücken . Leben .
    Ein zweiter Versuch. Vergeblich. Die Tür war verschlossen oder verbarrikadiert.
    Eve machte einen schnellen Schritt zurück, ließ Rucksack und Handtasche fallen, befreite sich aus der brennenden Strickjacke und warf sie von sich. Sie brauchte dringend Luft.
    Das Fenster!
    Sie hob die beiden Taschen wieder auf und drehte sich herum.
    Die Vorhänge waren bereits vollständig verbrannt – und das Fenster war vergittert. Was als Schutz gegen Einbrecher dienen sollte, hielt sie gefangen. Und dort draußen wartete ein Schütze auf sie. Aber sie musste es riskieren, musste wenigstens genügend Luft schnappen, um es dann noch mal mit der Tür zu versuchen. Den Rucksack und die Tasche als Deckung gegen einen möglichen Schuss vor sich haltend lief sie zwischen den brennenden Truhen und Regalen hinüber zum Fenster, beugte sich so weit es ging vor, stieß die alte Luft aus und atmete ein. Sie war warm von den Gittern, aber nicht heiß.
    Noch einmal atmete sie tief aus und ein, die Nerven zum Zerreißen angespannt bei dem Gedanken, dass wahrscheinlich jemand auf sie zielte. Sie sprang zurück und lief wieder zur Tür.
    Noch einmal benutzte sie den Rucksack wie einen Backofenhandschuh und drückte die Klinke nach unten. Aber die Tür bewegte sich noch immer nicht. Nur mit großer Mühe einen verzweifelten Aufschrei unterdrückend ging sie einen Schritt zurück und trat mit voller Wucht gegen die Tür.
    Nichts.
    In diesem Moment war Eve Sinclair überzeugt davon, dass sie sterben würde.

13
    Mit der Kraft und dem Geschick eines Freeclimbers kletterte der Motorradfahrer über die Klostermauer, nur schneller. Stumm betete er zu schon längst vergessenen Göttern, dass er nicht zu spät kommen würde. Seine Finger und Fußspitzen fanden Halt in jeder noch so kleinen Unebenheit in dem alten Mauerwerk aus Natursteinen. Oben angekommen sprang er hinüber, landete fast vier Meter weiter unten geschmeidig auf den Fußballen und rannte los zum Turm.
    Sofort entdeckte er den Keil unter der Tür und trat ihn weg. Der Motorradhandschuh schützte ihn vor der Hitze des Türgriffs, als er die Tür aufriss.
    Gerade wollte er in die Flammen dahinter eilen …
    … als ihn ein Lederrucksack und eine Handtasche mit Wucht ins Gesicht trafen und ihn nach hinten taumeln ließen.
    Mit einem lauten Aufschrei stürzte die Frau hinterher und aus dem brennenden Turm. Ihr glühendes Gesicht war mit Ruß, Schweiß und Asche beschmiert, ihre Haare angesengt, und ihr Blick funkelte in einer Mischung aus verzweifelter Hysterie und der wilden Entschlossenheit, für ihr Überleben notfalls zu töten.
    Sie krallte mit den Fingernägeln nach seinen Augen. Als es ihm gerade noch gelang, sie an den Handgelenken zu packen, sprang

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