Die Lazarus-Formel

Titel: Die Lazarus-Formel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivo Pala

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Fensters.
    Sie atmete einige Male tief ein und aus, um Sauerstoff in ihr System zu pumpen, und ließ die Muskeln in ihren Beinen spielen, um sie warm zu machen und geschmeidig. Dann zog sie ihre Beine unter den Körper, und unter Aufbietung all ihres Mutes sprang sie hoch, riss die Tür auf, schlüpfte hindurch und schlug sie schnell hinter sich wieder zu …
    … nur um plötzlich vor einer lebendigen und gefräßigen Wand in die Höhe schießender Flammen zu stehen.

12
    Der Armbrustschütze am Waldrand verzog missmutig den Mund. Er hatte zu spät reagiert, als die Frau in der Turmkammer aus ihrer Deckung hinter dem Tisch aufgesprungen und durch die Tür geflüchtet war. Es war zwar ziemlich wahrscheinlich, dass das Feuer, das sein Bruder im Erdgeschoss des Turms gelegt hatte, ihm die Arbeit abnehmen würde – aber selbst ziemlich wahrscheinlich war eben noch lange nicht sicher.
    Er zielte mit der Waffe auf das inzwischen durch das Feuer hell erleuchtete Erdgeschossfenster und wartete. Falls sie es die brennende Treppe hinunterschaffte, würde er sie an deren Fuß mit einem Bolzen empfangen, ehe es ihr vielleicht auch noch gelang, die blockierte Tür nach draußen aufzubrechen. Er zwang sich, wieder tief und ruhig zu atmen, und legte den Finger auf den Abzug.
    Der Motorradfahrer im Unterholz trieb sich zu noch größerer Eile an. Im Turm brannte es bereits. Damit hatte er gerechnet. Aber nicht damit, dass der Schütze so früh schießen würde. Er war nur noch dreißig, vielleicht vierzig Meter von dem Mann mit der Armbrust entfernt, der schon zwei Bolzen abgeschossen und einen dritten eingelegt hatte und schon wieder zielte.
    Noch im Laufen zog er seine beiden Schwerter aus den Futteralen auf seinem Rücken und mobilisierte seine ganze Kraft.
    Er brauchte Eve Sinclair. Jahrelang hatte er nach einer wie ihr gesucht.
    Oben im Turm starrte Eve auf die brennende Treppe und kämpfte gegen die Panik an. Außer dem Fenster, durch das auf sie geschossen worden war, war die Treppe der einzige Weg aus dem Turm. Sie musste sie nehmen, oder sie würde verbrennen. Das waren die Optionen – die zweite davon inakzeptabel. Für einen kurzen Moment noch ließ sie ihr Verstand nach einer dritten suchen, aber als er keine fand, zwang sie ihn, sich auf die erste zu konzentrieren.
    Die Treppe. Sie konnte noch nicht sehr lange brennen, sonst hätten Feldmann und sie den Rauch im Zimmer gesehen oder zumindest gerochen, und der Holzboden des Zimmers selbst wäre heißer gewesen oder hätte ebenfalls schon gebrannt. Was so hell brannte, war das Bohnerwachs, das frische wie auch uraltes. Wenn sie Glück hatte, war das Holz in seiner Substanz selbst noch nicht angegriffen.
    Sie versuchte, sich daran zu erinnern, wie viele Stufen die Treppe hatte – sie wusste, dass sie sie, wie sie es unbewusst immer tat, gezählt hatte. Die meisten Menschen zählten die Stufen, wenn sie eine Treppe hinaufgingen, auch wenn die wenigsten das bewusst wahrnahmen.
    Vierundsechzig .
    Ja, es waren vierundsechzig. Unterteilt in Treppenläufe von je acht Stufen. Vierundsechzig durch acht – also auch acht Treppenläufe. Unterbrochen von Etagenplattformen und Treppenabsätzen zwischen den Stockwerken. Zwischen jeder Etage ein Treppenabsatz. Das ergab vier Etagen – auf der obersten stand sie – und vier Treppenabsätze zwischen den Etagen. Nach dem letzten Treppenabsatz unten führte der Treppenlauf direkt ins Erdgeschoss.
    Sie rechnete weiter: Sie konnte die acht Stufen eines Treppenlaufs mit einem einzigen Sprung nach unten überwinden. Solange die Plattformen noch nicht zu sehr brannten, würden sie ihr Fallgewicht bei der Landung tragen.
    Die Luft wurde immer rauchiger.
    Sie rechnete schneller: Anlauf und Sprung mit Landung – drei Sekunden; vielleicht stolpern, dann drei Schritte nach rechts – noch mal drei Sekunden; Schwung holen, springen und landen – auch etwa drei Sekunden. Also etwa neun, großzügig gerechnet zehn Sekunden pro Etage. Das waren vierzig Sekunden für die ganze Treppe. Solange müsste sie die Luft anhalten. Auch die zusätzlichen vier oder fünf Sekunden, die sie unten brauchen würde, die Tür zu finden, sie aufzustoßen und nach draußen zu rennen, dürften kein Problem sein. Nur nicht in Panik geraten durch die Hitze und die Helligkeit des Feuers .
    Sie machte sich bereit.
    Der Armbrustschütze hatte durch das vergitterte Turmfenster den Fuß der Treppe im Fadenkreuz und hielt die Konzentration, ohne sich zu verkrampfen. Bis zu