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Die Lazarus-Formel

Die Lazarus-Formel

Titel: Die Lazarus-Formel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivo Pala
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keinen Sinn. In Eves Denkschema machte alles, was keinen Sinn ergab, sie normalerweise entsetzlich neugierig. Aber wo dunkle Gestalten mit Armbrüsten Menschen erschossen, einen Turm anzündeten, um sie bei lebendigem Leib zu verbrennen, und einander mit altertümlichen Schwertern so nebenbei niedermetzelten, als täten sie das jeden Tag, war kein Raum mehr für Neugier, nur noch für brustkorbeinschnürende und all ihre Überlebensinstinkte mobilisierende Furcht. Sie war den ganzen Weg von Shrawley Wood nach Oxford zurückgerast. Wie ein Tier auf der Flucht in seinen Bau .
    Sie bog viel zu schnell in einer weiten Kurve in die Stanway Road und nahm die Geschwindigkeit erst herunter, als sie nur noch wenige Meter von ihrem Haus entfernt war.
    Waren sie wirklich hinter mir her oder vielleicht doch hinter Feldmann ? Das war eine entscheidende Frage. Wenn sie hinter mir her waren, bin ich auch hier nicht sicher . Sie müssen hinter Feldmann her gewesen sein . Bitte, lieber Gott, gib, dass sie hinter Feldmann her waren und ich nur zufällig da hineingeraten bin . Gib, dass sie keine Ahnung haben, wer ich bin, wie ich heiße und wo ich wohne . Sie ärgerte sich darüber, einen Gott anzuflehen, an den sie schon lange nicht mehr glaubte, und setzte gleich darauf einen lautlosen Fluch hinterher. Verdammt! Der Fremde mit den zwei Schwertern hatte sie »Doktor Sinclair« genannt. Zumindest er wusste, wer sie war – falls er noch lebte. Aber wenn es um sie ging und nicht um Feldmann, mussten sie ihr entweder zum Kloster gefolgt sein oder hatten schon dort auf sie gewartet. Es gab nur einen einzigen Menschen, der gewusst hatte, wohin sie unterwegs war.
    Anne!
    Eve stieg aus dem Wagen und wählte Annes Nummer, während sie zu ihrer Haustür ging. Sie wollte gerade aufschließen, als sie zusammenzuckte. Ihre Tür war aufgebrochen – und im Inneren ihres Hauses begann ein Handy zu dudeln. Anne? Vor Schreck drückte sie auf die Beenden-Taste ihres Mobiltelefons. Das Dudeln drinnen brach sofort ab.
    »Anne?«, fragte sie durch den Schlitz der nur angelehnten Tür. Es kam keine Antwort. Gegen den Warnschrei der eigenen Vernunft schob sie die Tür weiter auf und lauschte in die Stille. Nichts. Dann spähte sie hinein – und hätte beinahe genauso laut aufgeschrien wie eben ihre Vernunft.
    Ihre Wohnung war völlig verwüstet.
    Die Flurmöbel lagen umgeworfen auf dem Boden, und die Bilder waren von den Wänden gerissen. Im hinteren Wohnzimmer sah es selbst von der Tür her noch schlimmer aus. Der Baldachin war zerfetzt, und die Polster der Sessel und Sofas waren aufgeschlitzt.
    Man hatte ihr Zuhause zerstört. Den Ort, den zu einem Nest zu machen sie in den vergangenen drei Jahren jede freie Minute ihrer Zeit und jeden Penny gesteckt hatte, um sich nach dem viel zu frühen Tod ihrer Eltern endlich wieder sicher und geborgen zu fühlen. Ihre Ruhezone. Der Quell ihrer Kraft. Vernichtet.
    Eve spähte ins Arbeitszimmer – und da schrie sie auf.
    Die Computer waren zerstört und sämtliche ihrer Akten verschwunden. Überall lagen aus den Regalen gerissene Bücher auf den türkis gestrichenen Bodendielen.
    Und dann sah sie Anne!
    Die junge rothaarige Frau hatte mehrere große Stich- und Schnittwunden. Überall war Blut. Sie kauerte reglos am Boden, den Oberkörper gegen die Wand gelehnt. Und sie hatte versucht, eine Nachricht zu hinterlassen. Auf dem hellblau-weiß verwischten Glattputz stand zwischen den bunten Fliesen in großen roten Buchstaben das Wort » HÜTE «.
    Anne hatte es mit ihrem eigenen Blut geschrieben.
    Eve unterdrückte ein Schluchzen und lauschte wieder in die Wohnung hinein. Aber es war nichts zu hören. Wer immer das getan hatte, schien verschwunden. Sie zwang sich, zu dem Körper an der Wand zu gehen und nach Annes Puls zu tasten. Doch als sie den blutigen Pferdeschwanz zur Seite schob, um die Halsschlagader zu berühren, sah sie, dass sie hier nichts mehr tun konnte. Der Hals war zu einem Viertel vom Rumpf getrennt, die Schlagader weit offen.
    Wer hatte das getan? Die Männer in den Kutten oder der Fremde mit den beiden Schwertern? Und wovor sollte sich Eve hüten?
    Die Polizei muss her! Sie richtete sich auf und wählte mit dem Handy den Notruf. Aber als sie es an das Ohr nahm, wartete sie vergeblich auf ein Wählzeichen. Stattdessen klickte es, und eine fremde Stimme sagte: »Wir sind auf dem Weg, Doktor Sinclair. Bleiben Sie, wo Sie sind. Es gibt für Sie ohnehin kein Entkommen mehr.«

16
    Bleiben Sie, wo Sie

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