Die Lazarus-Vendetta
ihn kannten, hätten behaupten können, dass ihnen der merkwürdige Ausdruck auf seinem bleichen, fleischigen Gesicht – eine Mischung aus Heiterkeit und Angst – in irgendeiner Weise vertraut war.
Normalerweise kochte Costanzo vor bitterer Enttäuschung und angestautem Groll. Er war plump von Statur, einundvierzig Jahre alt, unverheiratet und in einer Gesellschaft gefangen, die weder seinen Intellekt noch seine Ideale zu schätzen wusste. Er hatte hart gearbeitet, um einen akademischen Titel in Umweltrecht und Konsumverhalten der Amerikaner zu erlangen. Seine Doktorarbeit hätte ihm die Türen zur akademischen Elite öffnen sollen. Jahrelang hatte er davon geträumt, in einer Denkfabrik in Washington D.C. zu arbeiten und ganz allein die Konzepte für bedeutende soziale Reformen und eine neue Umweltpolitik zu entwerfen. Stattdessen arbeitete er halbtags bei einer Buchladenkette, ein lausiger Job ohne Perspektiven, mit dem er kaum seinen Anteil an der Miete für ein schäbiges, heruntergekommenes Ranchhaus in einem der ärmsten Viertel von Albuquerque bezahlen konnte.
Doch Costanzo hatte auch andere Arbeit, geheime Arbeit, und sie war der einzige Teil in seinem sonst armseligen Leben, dem er Bedeutung beimaß. Er leckte sich nervös über die Lippen. In die inneren Zirkel der Lazarus-Bewegung eingeladen zu werden, war eine große Ehre, aber es brachte auch ernst zu nehmende Risiken mit sich. Als er heute Nachmittag die Nachrichten gesehen hatte, war ihm dies noch klarer geworden. Hätten ihm seine Vorgesetzten in der Bewegung nicht den strikten Befehl gegeben, zu Hause zu bleiben, er wäre sicher bei der Demonstration vor dem Teller Institut gewesen. Er wäre einer der tausenden gewesen, die von den Todesmaschinen der Konzerne auf so brutale Weise abgeschlachtet worden waren.
Einen Augenblick lang kochte eine tiefsitzende Wut in ihm hoch, überflutete sogar den kleinlichen Alltagsgroll, der ihn normalerweise beschäftigte. Seine Hände packten das Steuer fester. Der Civic schleuderte nach rechts und wäre fast von der holprigen Fahrbahn abgekommen und in den niedrigen Wall aus lockerem Sand und verdorrten Büschen gerauscht, der die Straße säumte.
Costanzo ließ erleichtert die Luft aus seinen Lungen weichen. Er schwitzte jetzt. Pass auf, was du tust, ermahnte er sich angespannt. Die Bewegung würde schon wissen, wann der richtige Zeitpunkt gekommen war, Rache an ihren Feinden zu nehmen.
Der Meilenzähler des Honda klickte eine Zahl höher. Er war jetzt ganz nah beim Treffpunkt. Er ging vom Gas, beugte sich vor und spähte durch die Windschutzscheibe zu den Bergen hinüber, die links von ihm emporragten. Dort war es!
Aus Gewohnheit den Blinker setzend, bog Costanzo von der Staubstraße und lenkte den Honda vorsichtig in die Mündung eines kleinen Canyon, der sich tiefer in die Cerillos Hills schlängelte. Die Reifen des Honda knirschten über eine flache Kiesbank, die von den periodisch auftretenden Sturzfluten, die bei Regen durch den Canyon schäumten, herabgeschwemmt worden war. Kleine Gruppen verkrüppelter Bäume und Beifußsträucher klammerten sich an die steilen Hänge der Schlucht.
Nach einer Viertelmeile machte der Canyon eine Krümmung nach Norden. Hier mündeten von allen Seiten schmalere ausgetrocknete Bachläufe in den Canyon. Verdorrte Bäume standen zwischen mächtigen, herabgefallenen Felsbrocken und aufgehäuften Kiesbänken. Auf beiden Seiten ragten steile, durch abwechselnde Schichten von ockerfarbenem Sandstein und rotem Schlammstein gestreifte Felswände auf.
Costanzo machte den Motor aus. Die Nacht war vollkommen still. War er zu früh? Oder zu spät? Die Befehle, die er bekommen hatte, hatten ausdrücklich betont, wie wichtig Pünktlichkeit war. Er fuhr sich mit dem Ärmel seines Hemds über die Stirn und wischte die Schweißtropfen weg, die herabperlten und in seinen im Schatten liegenden, blutunterlaufenen Augen brannten.
Er stieg aus dem Honda und zerrte dabei umständlich einen kleinen Koffer aus dem Wagen.
Unsicher blieb er stehen und wartete, weil er nicht wusste, was er als Nächstes tun sollte.
Plötzlich leuchteten in einer der schmalen Seitenschluchten Scheinwerfer auf. Überrascht wirbelte Costanzo zu den Lichtkegeln herum und legte eine Hand schützend über die Augen, um in dem grellen, blendenden Schein etwas erkennen zu können. Er konnte lediglich die undeutlichen Umrisse eines großen Wagens und daneben zwei oder drei verschwommene Gestalten ausmachen.
»Stellen
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