Die Lazarus-Vendetta
gestellt hatte. Er nahm eine der Flaschen vom Tablett. Sie enthielt eine bernsteinfarbene Flüssigkeit. »Ist Scotch okay für Sie? Das ist ein zwanzig Jahre alter Caol Ila, ein Single Malt Whisky aus Islay. Es war eine der Lieblingssorten Ihres Vaters.«
Nomura senkte den Blick, offenbar peinlich berührt von den Emotionen, die die Einladung in ihm auslöste. Er neigte den Kopf in einer förmlichen Verbeugung. »Sie erweisen mir große Ehre.«
Während Castilla den Scotch in die Gläser goss, betrachtete er den Sohn seines alten Freundes genauer, und ihm fiel auf, dass er sich seit ihrer letzten Begegnung verändert hatte. Obwohl Hideo Nomura fast fünfzig war, war sein kurz geschnittenes Haar noch immer pechschwarz. Er war groß für einen Japaner seiner Generation, so groß, dass er den meisten Europäern oder Amerikanern gerade ins Gesicht sehen konnte. Sein Kinn war kräftig, und um seinen Mund und seine Augen hatten sich nur ein paar wenige winzige Fältchen eingegraben. Von weitem konnte man Nomura ohne weiteres zehn bis fünf zehn Jahre jünger schätzen, als er war. Nur aus der Nähe konnte man die Verschleißspuren der Zeit, heimlichen Kummers und unterdrückten Zorns ausmachen.
Castilla reichte Nomura eines der Gläser, dann setzte er sich ebenfalls und nippte an seinem Drink. Der rauchig und leicht torfig schmeckende Scotch floss weich über seine Zunge und ließ im Abgang einen Hauch von Eiche und Salz in seinem Mund zurück. Ihm fiel auf, dass Nomura ohne jedes erkennbare Zeichen des Genusses an seinem Scotch nippte. Der Sohn ist nicht der Vater, dachte er traurig.
»Ich hatte noch einen anderen Grund, Sie heute Abend herzubitten«, sagte Castilla schließlich und brach das verlegene Schweigen. »Obwohl ich glaube, dass es auf irgendeine Weise mit der Tragödie am Teller Institut zusammenhängen könnte.« Er wählte seine Worte mit Bedacht. »Ich muss Sie etwas fragen, das mit Jinjiro zu tun hat – und mit Lazarus.«
Nomura setzte sich kerzengerade auf. »Mit meinem Vater? Und der Lazarus-Bewegung? Ah, ich verstehe«, murmelte er. Er stellte sein Glas beiseite. Es war noch fast voll. »Selbstverständlich. Ich werde Ihnen sagen, was ich Ihnen sagen kann.«
»Sie waren gegen das Engagement Ihres Vaters in der Bewegung, nicht wahr?«, erkundigte sich Castilla bemüht, vorsichtig zu Werke zu gehen.
Der jüngere Japaner nickte. »Ja.« Er sah den Präsidenten an. »Mein Vater und ich waren nie Feinde. Und ich habe auch nie meine Ansichten vor ihm verborgen.«
»Von welchen Ansichten sprechen Sie?«, fragte Castilla.
»Dass die Ziele der Lazarus-Bewegung sehr hochgesteckt waren, sogar edel«, erwiderte Nomura leise. »Wer würde nicht gern auf einem sauberen Planeten leben, auf dem es keine Verschmutzung mehr gibt und die Menschen in Frieden miteinander leben? Doch ihre Pläne, wie das zu erreichen ist?« Er zuckte mit den Schultern. »Hoffnungslos unrealistisch im besten Fall. Tödlicher Irrsinn im schlimmsten. Die Welt balanciert auf Messers Schneide – auf der einen Seite sind hungernde Massen, Chaos und Barbarei und auf der anderen ein potenzielles Utopia. Die Technologie hält dieses empfindliche Gleichgewicht. Schaffen wir unsere modernen Technologien ab, wie es die Bewegung verlangt, stürzen wir den gesamten Planeten in einen Albtraum von Tod und Zerstörung – einen Albtraum, aus dem er vielleicht nie wieder erwacht.«
Castilla nickte. Die Überzeugungen des jüngeren Mannes stimmten im Wesentlichen mit seinen überein. »Und was sagte Jinjiro zu all dem?«
»Am Anfang war mein Vater derselben Meinung wie ich. Zumindest teilweise«, sagte Nomura. »Aber er glaubte, das Tempo, mit dem sich der technologische Wandel vollzog, sei zu schnell. Die plötzlich auftauchenden Möglichkeiten des Klonens, der genetischen Manipulation und der Nanotechnologie bereiteten ihm Sorgen. Er fürchtete das Tempo, mit dem diese Veränderungen vonstatten gingen, und glaubte, dass sie unvollkommenen Menschen zu viel Macht über ihre Mitmenschen und die Natur in die Hände geben. Trotzdem hoffte er, als er Lazarus mitbegründete, die Bewegung als ein Mittel zu nutzen, den wissenschaftlichen Fortschritt zu verlangsamen – nicht, ihn völlig zu beenden.«
»Aber das änderte sich?«, fragte Castilla.
Nomura runzelte düster die Augenbrauen. »Ja«, räumte er ein. Er nahm sein Glas, starrte eine Weile in die rauchige bernsteinfarbene Flüssigkeit und stellte dann das Glas wieder ab.
»Die Bewegung fing an, ihn zu
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