Die Lazarus-Vendetta
nationalen Sicherheit und falle deshalb in ihre Zuständigkeit.«
»Wann war das?«, fragte Jon.
»Vielleicht ’ne Stunde, nachdem wir am Tatort eintrafen«, erwiderte der Police-Lieutenant. »Aber sie haben uns nicht nur von unserer eigenen Plaza davongejagt, sie haben auch jede abgefeuerte Patronenhülse, jede handschriftliche Notiz und alle unsere Fotos vom Tatort konfisziert!«
Smith pfiff leise durch die Zähne. Das war mehr als ein simples Gerangel um Zuständigkeiten. Das FBI hatte sämtliche Beweisstücke der Polizei verschwinden lassen. »Auf wessen Befehl?«, fragte Smith leise.
»Deputy Assistant Director Katherine Pierson hat die Einsatzorder unterschrieben«, erwiderte Zarate. Seine Lippen wurden schmal. »Ich will nicht behaupten, dass ich glücklich darüber bin, den Schwanz eingezogen und die FBI-Order befolgt zu haben, aber niemand im Bürgermeisteramt oder im Stadtrat möchte es sich ausgerechnet jetzt mit den Bundesbehörden verderben.«
Jon nickte verständnisvoll. Wie jede Stadt, vor deren Haustür sich eine verheerende Katastrophe ereignet hatte, würde Santa Fe massiv auf nationale Hilfe und Unterstützung aus Bundesmitteln angewiesen sein. Regionalstolz und kleinkarierte Kompetenzempfindlichkeiten mussten da natürlich hinter den dringlichen Notwendigkeiten zurückstehen.
»Nur noch eine Frage«, versprach er Zarate. »Sie sagten, es hat einen Toten gegeben. Wissen Sie, was mit der Leiche passiert ist? Oder wer die Autopsie durchführt?«
Der Police-Lieutenant schüttelte irritiert den Kopf. »Hier wird diese ganze verquere Situation, vorsichtig ausgedrückt, sehr merkwürdig.« Er runzelte ärgerlich die Stirn. »Ich hab ein paar Anrufe bei den Leichenbeschauern und Krankenhäusern der Stadt gemacht, nur zu meiner eigenen Erbauung. Und soweit ich das sagen kann, hat niemand auch nur den geringsten Versuch unternommen, den Toten zu identifizieren. Stattdessen sieht es so aus, dass das FBI den Toten in einen Krankenwagen verfrachtet und in eine Leichenhalle in Albuquerque unten gebracht hat, wo er sofort eingeäschert wurde.« Er sah Smith direkt an. »Ich frage Sie: Was, in Dreiteufelsnamen, halten Sie davon, Colonel?«
Jon musste seine ganze Konzentration aufbieten, damit ihm nicht die Beherrschung seiner Gesichtszüge entglitt, doch irgendwie gelang es ihm, eine ungerührte, versteinerte Miene zu wahren. Was genau machte Kit Pierson hier unten in Santa Fe?, fragte er sich. Für wen ließ sie Beweismittel verschwinden? Wen deckte sie?
Es war kurz vor Mittag, als Smith das Polizeipräsidium von Santa Fe verließ und den Gehsteig des Camino Entrada überquerte. Sein Blick huschte kurz prüfend nach links und nach rechts über die Straße, doch abgesehen davon ließ er kein sonderlich großes Interesse an seiner Umgebung erkennen. Anscheinend noch immer in Gedanken versunken, stieg er in sein gemietetes dunkelgraues Mustang Coupé und fuhr davon. Nach ein paar schnellen Haken und Schlenkern durch verwinkelte Straßen lenkte er den Mustang schließlich auf den überfüllten Parkplatz der Villa Linda Mall, des großen, überdachten Einkaufszentrums der Stadt. Dort fuhr er langsam mehrere Male zwischen den langen Reihen parkender Autos hindurch, als sei er nur auf der Suche nach einem freien Parkplatz. Schließlich schien er aufzugeben und verließ den Parkplatz wieder, überquerte die angrenzende Wagon Road und parkte im Schatten einiger Bäume, die am Rand eines zu einem seichten Rinnsal ausgetrockneten Flussbetts standen, das auf seiner Karte als Arroyo de Chamisos ausgezeichnet war.
Nach zwei Minuten parkte ein weißer, viertüriger Buick direkt hinter ihm. Peter Howell stieg aus und streckte sich wie nach einer langen Fahrt, wobei er sorgfältig die Umgebung in Augenschein nahm. Anscheinend überzeugt, dass sie nicht beobachtet wurden, schlenderte er zum Mustang, öffnete die Beifahrertür und ließ sich auf den Sitz neben Smith sinken.
Seit ihrem gemeinsamen Frühstück hatte der Engländer offenbar genügend Zeit gefunden, sich einen modischen Kurzhaarschnitt verpassen zu lassen. Außerdem hatte er sich umgezogen und seine ausgewaschene Drillichhose und das dicke Flanellhemd, die er als Malachi MacNamara getragen hatte, gegen eine bequeme, khakifarbene Hose, ein blaues Hemd und ein Sportjackett mit Fischgrätmuster getauscht. Der mit der Lazarus-Bewegung sympathisierende Umweltfanatiker war verschwunden, und an seine Stelle war ein hagerer, sonnengebräunter, im Exil lebender Engländer
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