Die lebenden Puppen des Gerald Pole
auf. Das Schulgebäude erhob sich im Hintergrund. Hier in dem Nebenhaus lebten zwei Mieter. Zum einen der Hausmeister, zum anderen er. Den Hausmeister kannte er kaum, denn der Mann war immer unterwegs, und so hatte Gerald Pole seine Ruhe.
Er erreichte die Wohnungstür und blieb abrupt vor ihr stehen. Er wusste selbst nicht, warum er das tat und nicht den Schlüssel aus der Tasche holte. Er lauschte an der Tür.
Es war nichts zu hören, was ihm verdächtig vorgekommen wäre. Pole hoffte nicht, dass es die Ruhe vor dem Sturm war. Er lauschte weiter. Schloss die Tür auf, machte aber noch kein Licht. Dann fuhr seine Hand über die Tapete, und kurze Zeit später wurde es in seiner Umgebung hell.
Über seine Lippen huschte ein Lächeln, denn es war nichts zu sehen, was ihn beunruhigt hätte.
Die nächste Untersuchung galt dem Arbeitszimmer. Dort war alles okay. Seine Lieblinge lagen in den Regalen und bewegten sich nicht. Er war froh darüber, denn es hätte auch anders sein können, aber daran wollte er nicht denken. Schon wenn andere Personen seine Puppen anfassten, wurde er nervös.
Aber eine Puppe fehlte. Es war der Mönch, und der würde auch nie mehr zurückkehren, er war vernichtet worden, das hatte Gerald Pole indirekt mitbekommen.
Er dachte an das Stück, das er am Abend spielen wollte.
Böse Zeiten.
Ein toller Titel war ihm da eingefallen. Er war vor allen Dingen vielsagend. Da brauchte er sich nicht an einen Inhalt zu halten. Er konnte variieren und das Böse auf verschiedenen Ebenen auftreten lassen.
Und er konnte dabei brutal werden. Die Menschen schocken oder schreien lassen, das alles schoss ihm durch den Kopf, aber er wusste noch nicht, welchen Inhalt er sich vornehmen sollte. Deshalb musste er auch mehr Puppen mitnehmen und konnte sich nicht auf eine kleine Zahl beschränken.
Er trat näher an die Regale heran. Da suchte er sich die schrecklichsten Puppen aus und legte sie erst auf den Schreibtisch in der Mitte des Raumes. Einmal kicherte er, als er eine besonders hässliche Hexe in der Hand hielt. Die schaute er sich genauer an.
Pole erkannte, dass sie sich verändert hatte. Nicht vom Körperbau her, nein, er musste nur einen Blick in die Augen werfen, um zu erkennen, dass die andere Seite sie manipuliert hatte.
Da war etwas in ihr.
Und genau das spiegelte sich in den Augen wider. Er hatte das Gefühl, eine Puppe in der Hand zu halten, die lebte. Mit einem Menschen war sie nicht zu vergleichen, aber sie war am Leben, und ihr Körper gab auch eine gewisse Wärme ab.
»Ja, du kommst auch mit. Du wirst dich an den bösen Zeiten erfreuen. Du wirst dann zwischen die Menschen gehen und sie fragen, ob sie mir von ihrem Blut geben. Sie werden es nicht tun wollen, doch du wirst nicht locker lassen und es mir holen. Du musst sie verletzen. Du kannst ihnen sogar die Augen ausstechen, und niemand wird dich daran hindern. Die bösen Zeiten warten auf euch und die Zuschauer.«
Nach diesen Worten musste er lachen. Er freute sich wie verrückt. Er rieb seine Handflächen gegeneinander und stellte sich vor, wie das Blut bei seinen Zuschauern floss. Nur nicht zu viel. Zu einer Panik sollte es nicht kommen, und auch nicht zu einer Massenflucht.
Er wollte ihre Angst erleben. Sie aus den Menschen hervorlocken und die kalte Furcht spüren, die die Herzen der Menschen zusammenpresste.
»Alles wird so werden, wie ich es will. Es hat nie bösere Zeiten gegeben. Weg mit den Märchen, die sind lächerlich. Das wahre Böse ist es, was zählt.«
Und nach diesen Worten griff er zur nächsten Puppe, die er behutsam aus dem Regal holte. Auch die fand ihren Platz auf dem Schreibtisch. Pole hatte sie schon mal als böse Stiefmutter eingesetzt. Sie war abgebrüht und brutal. Sie liebte heimtückische Waffen wie Gift oder den tödlichen Trank. Das natürlich im Spiel, doch in dieser Nacht sollte aus dem Spiel Wirklichkeit werden.
Pole holte noch einige Puppen aus dem Regal, und ganz zum Schluss griff Gerald nach der Figur, die er besonders liebte. Es war der Kasper, dem er tief in die Augen schaute. Er hatte eigentlich lustige Augen, in diesem Fall aber waren sie verschwunden. In den Höhlen lagen kalte Kugeln.
Er sagte nichts. Er tat seine Pflicht. Puppe für Puppe holte er aus dem Regal. Sie legte er nicht mehr auf den Schreibtisch, sondern verstaute sie in einen dafür vorgesehenen Koffer.
Behutsam schloss er den Deckel. Seine Augen leuchteten. Er hatte wieder ein Stück des Wegs hinter sich gebracht.
Einen zweiten
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