Die lebenden Puppen des Gerald Pole
bemerkbar.
Das hörte Gerald Pole und zuckte zusammen. Er richtete sich aus seiner halb gebückten Haltung auf – und konnte plötzlich lächeln, als er seine Mitarbeiterin sah.
»Ach, du bist es.«
»Ja, wer sonst?«
»Schon gut.«
Emma trat noch zwei Schritte näher an ihn heran. »Wie ich sehe, bist du schwer beschäftigt.«
»Ja, das muss so sein. Ich kümmere mich um meine Freunde.«
»Das tust du doch immer.«
»Klar, aber heute ist es etwas Besonderes.« Er nickte. »Es wird eine wundervolle Vorstellung werden, das kann ich dir versprechen. Eine, wie du sie noch nie gesehen hast.«
»Meinst du?«, fragte sie leicht spöttisch.
»Ja.«
»Und wieso?«
Er starrte sie für einen Moment an und sagte dann: »Weil sich viel geändert hat, denn jetzt leben meine Lieblinge …«
***
Emma Hill glaubte, sich verhört zu haben. Zuerst hatte sie lachen wollen, doch dann schüttelte sie den Kopf. Sie stand da und wusste nicht, was sie denken sollte. Auch ein Lachen wollte ihr nicht gelingen, dazu war die Sache zu ernst. Sie sah die Entschlossenheit in den Augen des Puppenspielers und musste schlucken. Erst dann konnte sie reden.
»Hast du gesagt, dass sie leben?«
»Ja.«
Emma räusperte sich. »Wir beide sprechen von den gleichen Gestalten? Von den Puppen?«
»So ist es.«
»Ha, und wie können sie leben?«
Gerald Pole verzog den Mund. Dann hob er eine Puppe an und streichelte sie. Es war eine der beiden Vampirpuppen mit ihrem breiten und bleichen Gesicht. Deutlich waren die Zähne zu sehen, die aus dem Oberkiefer ragten.
Emma Hill fiel ein, dass sie die meisten Puppen kannte. Diese aber hatte sie noch nicht gesehen. Und sie fürchtete sich zwar nicht davor, aber die Tatsache, dass sie leben sollte, die machte ihr schon zu schaffen.
Gerald Pole hielt sie ihr entgegen. »Schau sie dir an.«
»Ja, und?«
»Sie lebt.«
»Nein, das tut sie nicht. Das glaubst du doch selbst nicht. Leben ist etwas anderes.«
»Hm, meinst du?«
»Ja.«
»Dann fang sie auf!«
Nach diesem Satz ging alles blitzschnell. Die Puppe flog auf sie zu, und Emma wollte nicht, dass sie im Gesicht getroffen wurde. Rechtzeitig riss sie ihre Arme hoch und schaffte es, die Puppe abzuwehren. Nicht nur das. Bevor sie zu Boden fallen konnte, bekam sie noch einen Zipfel der schwarzen Kleidung zu fassen, und so war es ihr möglich, die Puppe zu halten.
»Schau sie dir an.«
»Das tue ich auch.«
Emma packte sie mit beiden Händen und hielt sie von sich weg. So konnte sie die Puppe am besten anschauen, um herauszufinden, ob Pole recht hatte.
»Sei vorsichtig, ich kann für nichts garantieren.«
»Ja, ja, schon gut.« Emma schüttelte den Kopf. Sie hatte schon eine lässige Antwort parat, als sie die Worte verschluckte, denn ihr war schon etwas aufgefallen.
Die Puppe ließ sich zwar anfassen wie normal, aber sie war es trotzdem nicht. Ihr Körper war wärmer, als würde sie eine gewisse Hitze abstrahlen.
Das war Emma neu.
Sie sprach auch nicht darüber, aber sie erlebte etwas anderes, das sie erschreckte. Noch immer streckte sie die Arme von sich und konnte so das Gesicht perfekt sehen.
Natürlich auch den Mund, und der klaffte plötzlich auf. Zugleich sah sie die beiden Zähne in voller Länge und hörte ein Geräusch, das wie ein Fauchen klang.
Sie hatte es nicht ausgestoßen und der Puppenspieler auch nicht. Es konnte nur eine Erklärung geben. Das Geräusch stammte von der Puppe, und da fiel ihr wieder ein, dass Pole von lebenden Puppen gesprochen hatte.
Jetzt bewegte sich der Vampir in ihrem Griff. Und das so hektisch und wild, dass sie loslassen musste. Darauf hatte der Blutsauger nur gewartet. Er hasste es, in der Klemme zu stecken. Er drehte sich in ihrem Griff, und dann konnte Emma ihn nicht mehr halten. Er glitt ihr aus der Hand und landete vor ihren Füßen auf dem Boden.
Sie war geschockt. Mit einer solchen Reaktion hatte sie nicht gerechnet. Sie hörte Pole lachen, kümmerte sich aber nicht darum, sondern schaute auf den Vampir.
Der blieb nicht liegen. Er reagierte blitzschnell und sprang die Frau an. Die Distanz war kein Problem für ihn. Er klammerte sich im Stoff der Hosenbeine für einen Moment fest und kletterte dann in die Höhe. Er war schnell. Er zog und zerrte am Stoff und hatte ihm Nu die Gürtelschnalle erreicht.
»Sei nur nicht unvorsichtig«, warnte Gerald Pole.
Da löste sich ihr Schock. Plötzlich wusste sie, mit wem sie es zu tun hatte. Ob echt oder nicht echt, das war ihr jetzt egal. Sie musste
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