Die lebenden Puppen des Gerald Pole
die des Teufels, der dort immer wieder erschien und das Böse manifestierte.
Dafür gab es nur einen Begriff. Es war der Teufel, der mitspielen musste, um letztendlich von dem Guten besiegt zu werden. Bei den Kindern war es der Kasper. Bei den Erwachsenen irgendjemand anderer.
Aber im echten Leben gab es keinen Kasper. Da waren die Menschen auf sich gestellt, doch es gab im echten Leben auch den Teufel, und er hatte Gerald besucht.
Einer, der den Wahnsinn bringen konnte, der aber auch wahnsinnig machte. Ein Ungeist. Grausam und heimtückisch, aber auch von falscher Freundlichkeit, wie er wusste.
Und er hatte Gerald besucht.
Es war eine Tatsache, doch sie zu akzeptieren fiel ihm jetzt schwer. Pole fragte sich, ob er nicht einen Traum erlebt hatte, aber nach einigem Nachdenken schüttelte er den Kopf. Das war kein Traum gewesen. Er hatte hier die raue Wirklichkeit erlebt, auch wenn sie kaum zu fassen war. Der Teufel war keine Puppe mehr, er war eine existente Person, das musste Gerald akzeptieren.
Als ihm dies klar geworden war, strich er über seine hohe Stirn und gab ein leises Stöhnen von sich. In seinem Hinterkopf tuckerte es. Er spürte wieder den Film aus Schweiß, der sich auf seine Haut gelegt hatte.
Dann zuckte er noch mal zusammen.
Er hatte etwas gehört.
Was es genau war, das wusste er nicht. Ein Ton, der von einem Menschen, aber auch von einem Tier stammen konnte.
Mensch oder Tier?
Das spielte bei ihm keine Rolle. Er wusste nur, dass er sich nicht geirrt hatte. Die Neugierde war in ihm erwacht. Zugleich mahnte ihn ein Gefühl der Vorsicht, nichts zu überstürzen.
Es war wieder still geworden. Er hörte nur seinen eigenen Atem und wusste nicht, ob er sich darüber freuen sollte oder nicht. Etwas war nicht mehr so wie immer. In seinem dunklen Arbeitszimmer musste sich jemand eingenistet haben. Es gab für ihn keine andere Erklärung.
War es der Teufel?
Bei diesem Gedanken, der so nahe lag, fing Pole an zu zittern. Der Teufel bereitete ihm auch jetzt noch Probleme, aber er wollte nicht näher darüber nachdenken.
Er wischte über seine Stirn. Der Handrücken war nass geworden. In seiner eigenen Wohnung fühlte er sich nicht mehr wohl. Das konnte nicht so bleiben, das musste geändert werden. Er wollte sehen, was sich im Nebenzimmer tat, und wollte auch herausfinden, ob er sich nicht geirrt hatte.
Gerald Pole gab sich einen Ruck, bevor er sich langsam in Bewegung setzte. Im Schlafzimmer brannte nicht viel Licht, in seinem Arbeitszimmer jedoch war es stockfinster. Und aus dieser Dunkelheit heraus war das Geräusch erklungen.
Wer hatte es abgegeben?
Die Antwort auf diese Frage drängte sich ihm immer stärker auf. In der Dunkelheit sah er nichts. Also musste er Licht machen, was ihm nicht leicht fiel. Irgendwo tief in seinem Innern steckte eine heilige Furcht.
Aber es ging nicht anders, und so schaltete Gerald Pole das Licht ein.
Zwei Lampen brannten unter der Decke. Die flachen Leuchten erhellten einen Raum, der für Gerald Pole das Zentrum seiner Wohnung war.
Es war sein Arbeitszimmer. Ein Raum, an dessen Seiten die Regale standen, die nicht leer waren. Die meisten Reihen hatte Pole mit seinen Lieblingen gefüllt.
Es waren die Puppen. Seine Kinder. Seine Figuren, die für ihn mehr waren, die sogar eine Seele besaßen, obwohl sie aus Holz geschnitzt waren, die meisten zumindest.
Jede Puppe besaß eine Seele.
Die war ihnen von Gerald Pole eingegeben worden. Das zumindest sagte er sich, denn diese Seele entstand automatisch, weil jede einzelne Puppe ihm so viel bedeutete. Jede von ihnen war ein kleines Meisterwerk, auf das er stolz sein konnte.
Er hatte nicht alle selbst geschaffen. Einige waren hinzugekauft worden, andere hatte er von verstorbenen Puppenspielern geerbt und war darüber sehr froh gewesen.
In der Mitte des Raumes blieb er stehen. Seine Blicke ließ er wandern.
Er schaute in die Regalreihen und suchte nach Unregelmäßigkeiten, die ihm bei ersten Hinschauen nicht auffielen.
Alle Puppen standen, saßen oder lagen dort wie immer. Die Guten als auch die Bösen.
Da war der Kasper in verschiedenen Variationen zu sehen. Mal mit langer, mal mit kürzerer Nase. Mal mit Zipfelmütze, dann wieder ohne, und ein Kasper stammte aus Frankreich. Er trug sogar eine Baskenmütze.
Hexen in verschiedenen Ausführungen waren zu sehen. Mal stumpf, mal lackiert, aber immer mit bösen Gesichtern und funkelnden Augen.
Der Teufel durfte auch nicht fehlen. Er sah irgendwie immer gleich aus.
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