Die Lebensfreude
in ein Geschrei aus.
»Sei vernünftig, Tante... Ich gebe dir ohne deinen Willen nichts zu trinken.«
»Ja, du hast noch die Flasche... Ich fürchte mich, ich fürchte mich!«
Sie lag im Todeskampfe; auf ihrem zu tief liegenden, vor Entsetzen zurückgeworfenen Kopfe erschienen dunkelblaue Flecke. Das junge Mädchen glaubte, sie werde in ihren Armen verscheiden und klingelte der Magd. Beide hatten große Mühe, sie aufzurichten und auf dem Kopfkissen zurechtzulegen.
In diesem gemeinsamen Schmerze schwanden nun Paulines persönliche Leiden, ihre Liebesqualen vollkommen. Sie dachte nicht mehr an die frische Wunde, die gestern noch geblutet hatte, sie empfand einem so großen Jammer gegenüber weder Heftigkeit noch Eifersucht. Alles tauchte in ein unendliches Mitleid unter, sie hätte gewünscht sie noch mehr zu lieben, sich ihr zu weihen, sich ihr zu ergeben, Ungerechtigkeiten und Beleidigungen zu dulden, nur um die anderen besser trösten zu können. Es war wie ein Heldenmut, den größten Teil des Unglücks im Leben auf sich zu nehmen. Von dem Augenblicke an fühlte sie keine Erschlaffung mehr, angesichts dieses Sterbelagers zeigte sie die ergebene Ruhe, die sie gehabt hatte, als der Tod sie selbst bedroht hatte. Sie war immer auf dem Posten und scheute vor nichts zurück. Ihre Zärtlichkeit selbst war wiedergekommen, sie vergab ihrer Tante den Jähzorn der Anfälle und bedauerte sie, daß sie sich derart nach und nach in eine Wut hineingeredet; sie hätte sie lieber so gesehen wie in früheren Zeiten, sie von neuem geliebt, wie vor zehn Jahren, als sie mit ihr eines Abends im Sturmwind nach Bonneville gekommen war.
An jenem Tage erschien Doktor Cazenove erst nach dem Frühstück: ein Unfall, der zerschmetterte Arm eines Pächters, den er hatte flicken müssen, hatte ihn in Verchemont aufgehalten. Als er nach Besichtigung der Frau Chanteau in die Küche kam, verbarg er seinen schlechten Eindruck nicht. Lazare saß gerade am Herde in jener fieberhaften Trägheit, die ihn verzehrte.
»Nicht wahr, es ist keine Hoffnung mehr?« fragte er. »Ich habe diese Nacht das Werk Bouillands über Herzkrankheiten nachgelesen.«
Pauline, die mit dem Arzte zugleich herabgekommen war, warf letzterem wieder einen flehenden Blick zu, der ihn veranlaßte, den jungen Mann in seiner bärbeißigen Art zu unterbrechen. Jedesmal, wenn die Krankheiten sich zum Schlechten wandten, wurde er wütend. »Ach! Das Herz, mein Lieber, Sie haben nichts als das Herz im Munde!... Kann man etwas Gewisses sagen!... Ich halte die Leber für noch kranker. Wenn die Maschine aus dem Gange kommt, wird eben alles in Mitleidenschaft genommen, die Lunge, der Magen und auch das Herz. Statt Bouilland des Nachts zu lesen, was nur dazu dient, Sie auch krank zu machen, hätten Sie besser daran getan zu schlafen.«
Es war das ein Losungswort für das ganze Haus, man behauptete vor Lazare, daß seine Mutter an der Leber sterben werde. Er glaubte nicht daran und durchblätterte in den schlaflosen Stunden seine alten Bücher. Dann verwickelte er sich in den Merkmalen der Krankheit, und die Erklärung des Arztes, daß die Organe nach und nach in Mitleidenschaft gezogen würden, erschreckte ihn vollends.
»Wie lange glauben Sie, daß es noch dauern kann?« begann er mühsam.
Cazenove machte eine unbestimmte Bewegung.
»Vierzehn Tage, vielleicht einen Monat... Fragen Sie mich nicht, ich könnte mich täuschen und Sie hätten ein Recht zu sagen, daß wir nichts wissen, nichts können... Der Fortschritt, den die Krankheit seit gestern gemacht hat, ist fürchterlich.«
Veronika, die gerade mit dem Abtrocknen der Gläser beschäftigt war, starrte ihn mit offenem Munde an. Wie? Es war also wahr, daß Madame so krank war, daß Madame sterben mußte? Bis zu diesem Augenblicke hatte sie an keine Gefahr glauben können, sie brummte in den Winkeln und fuhr fort, von verhaltener Bosheit zu reden, die nur dazu diente, die Leute im Hause herumzujagen. Sie war wie vor den Kopf gestoßen und als Pauline ihr sagte, sie möge zur Frau gehen, damit sie nicht allein bleibe, entfernte sie sich, die Hände an der Schürze trocknend, und fand nur die Worte:
»Schon gut! Schon gut!«
»Doktor,« hob Pauline an, die allein den Kopf nicht verloren hatte, »man sollte auch an den Onkel denken. Meinen Sie, daß man ihn vorbereiten muß? Sprechen Sie doch bei ihm vor, ehe Sie fortgehen!«
In diesem Augenblicke erschien jedoch der Abbé Horteur. Er hatte erst am Morgen von der
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