Die Lebenskünstlerin (German Edition)
mich trotzdem schrecklich. Dass es nur vorübergehend sei, ist mein einziger Trost. Einige Anträge und Formulare muss ich noch nachreichen. Ein immenser Aufwand für die Unterstützung vom Vater Staat.
Doch ich beiße es durch, lasse mich nicht entmutigen, hole mir Tipps von anderen Betroffenen und schaffe es letztendlich. Die gewonnene Zeit ohne die fundamentale Sorge um mein Auskommen will ich für mich nutzen. Weiterhin schreibe ich emsig Bewerbungen, arbeite hier und da mal zur Probe, doch etwas Bleibendes will sich einfach nicht einstellen. Trotzdem möchte ich mich nicht entmutigen lassen.
Meine Bilder habe ich inzwischen fast alle verkaufen können, auch die in der Praxis bei Valentina. Im Toom-Markt sind Leinwände im Angebot, erfahre ich von Elena. Dann plaudern wir über die bevorstehende Freizeit der Selbsthilfegruppen zum Jahreswechsel.
„Dein Claus-Richard hat gestern bei mir angerufen“, erfahre ich von ihr, während ich uns Tee nachgieße.
„Dieses Mal kann er nicht mitfahren, in seinem Geschäft stehen Umstrukturierungen an, da wäre ein Urlaub ungünstig.“
Aha. Zuerst bin ich enttäuscht, dass gerade er nicht dabei sein wird. Doch nach längerem Überlegen finde ich es besser, denn mit ihm verbindet mich ein über zehn Jahre dauerndes Techtelmechtel. Egal, ob einer von uns in Beziehung war, wir beide fliegen aufeinander, sobald wir uns sehen.
Außerhalb der Freizeiten ist es uns niemals gelungen, etwas Dauerhaftes aus unserer Beziehung zu machen. Er wird einen Platz in meinem Herzen behalten, doch als Partner fürs Leben möchte ich ihn nicht. Dazu umgibt ihn zuviel Schweres. Er ist ein nicht immer abstinenter Spieler, der für ein läppisches Kartenspiel seine ganze Zukunft ruiniert. Ansonsten ein prachtvoller Mann, groß, schwarze volle Haare und sehr liebenswert.
Die Gedanken an die Freizeit treten bald in den Hintergrund.
Geschwind fahre ich los, um noch ein paar Malutensilien zu besorgen. In mir steigert sich die Lust, wieder in den Farbtöpfen zu pantschen, den Pinsel zu schwingen und drauflos zu malen.
Mit einigen Leinwänden beladen und noch ein paar Töpfen Acrylfarbe bin ich recht bald wieder alleine in meiner Wohnung. Die Schmerzen strengen mich noch unheimlich an und den restlichen Tag verbringe ich mit meinen Wärmeflaschen und der Hoffnung, dass es nun endlich wieder aufwärts gehen möge.
Ich erfahre fast eine Art Spontanheilung, als der Druck der wirtschaftlichen Ungewissheit von mir genommen wird: Vater Staat sorgt jetzt für mich, mein Antrag ist bewilligt. Der erste Vater, welcher in meinem Leben für mich sorgt.
Stiller bin ich, nachdenklicher. Höre mehr zu, als ich von mir gebe. Kein glanzvolles Profilieren.
Erstaunt stelle ich fest, dass mir dieses neue Verhalten bekommt. Es ist weitaus weniger anstrengend, als immer die Perfekte und Coole zu imitieren oder einen blödsinnigen Scherz zur Ablenkung von meiner Misere zum Besten zu geben.
Ungeschminkt gebe ich das erste Mal in einem Meeting für Menschen mit emotionalen Problemen zu, dass ich wohl nicht so stark bin, wie ich es zu sein glaubte und wie ich andere von mir glauben lassen wollte.
Zaghaft berichte ich von meinen Schwierigkeiten, erzähle sogar in abgeschwächter Form von meinen Ängsten, von meinen grundlegenden Selbstzweifeln.
Ich ernte Zustimmung und liebevolle Anteilnahme. Das überfordert mich, schnell wiegele ich ab und spiele doch wieder den bescheuerten Clown.
Ich kann es halt nicht lassen.
Während ich durch die Nacht fahre, reflektiere ich nochmals das Treffen. Trotz allem kann ich zufrieden mit mir sein. Vor Fremden meine Unzulänglichkeiten preiszugeben, das war absolute Premiere.
Die gute Valentina wäre bestimmt jetzt stolz auf mich, grinse ich in den Rückspiegel.
Meine Küche gestalte ich kurzerhand als Atelier um. Ich möchte ein nettes Bild malen. Es will einfach nicht klappen.
Habe ich in den letzten Monaten mein Talent gänzlich verloren oder nur eine vorübergehende künstlerische Leere in mir? Eine Malblockade? Gibt es so was überhaupt?
Bestimmt. Schreibblockaden gibt es ja auch und das aus den unterschiedlichsten Gründen: Angst vor Misserfolg oder Ablehnung. Angst vor Erfolg oder unerledigte und verdrängte Probleme. Mein Kopfkarussell wirbelt erneut vor sich hin. Sofort fange ich an zu zweifeln.
Brotlose Kunst , stänkerte meine Mutter, Papierverschwendung .
Vielleicht hatte sie damit nicht so ganz Unrecht, für was soll das Ganze denn gut
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