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Die Lebenskünstlerin (German Edition)

Die Lebenskünstlerin (German Edition)

Titel: Die Lebenskünstlerin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ute R. Albrecht
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Rodenbach aufgewachsen ist. Denn ich habe keine Ahnung, wo in diesem Ort noch eine Arztpraxis sein könnte.
    Sie schlägt mir vor, ins Altenheim fahren. Da sei eine kleine taffe Ärztin, die nicht jeder verkraften kann, doch die würde sicherlich keine Hilfesuchende abweisen.
    Wenn es dennoch nicht klappen sollte, verspricht Ricarda, mir beizustehen. Ich bedanke mich und fahre sogleich zum Altenheim.
    Meine Freundin hat mit ihrer Einschätzung richtig gelegen. Ohne Termin, ohne ihre Patientin zu sein, werde ich sofort ins übervolle Wartezimmer geschickt. Noch bevor ich überlegen kann, wie ich mich aufgrund der Schmerzen auf einen Stuhl setze, erscheint eine kleine Dame, vielleicht Ende fünfzig, und bittet mich sogleich ins Behandlungszimmer.
     
    Mir stehen Tränen in den Augen und ich bin froh, als die Ärztin so unbedarft und munter draufloserzählt: „Das ist ja wunderbar, endlich mal keine alte Schachtel mit Riesenpampers am Hintern, sondern mal was junges Frisches. Schön, dass sie zu mir gekommen sind“, lacht sie und mustert mich mit durchdringendem Blick: „Was bedrückt sie?“
    Bei dieser herzlichen Begrüßung kämpfe ich erst recht mit diesen blöden Tränen. Schrecklich unangenehm ist mir das. Früher habe ich niemals geweint, ich hasse dieses widerliche Zeichen von Unzulänglichkeit und Schwäche. Ich könnte vor mir deswegen ausspucken.
    Unkompliziert hilft mir die Ärztin mit ihrer Sprechstundenhilfe auf die Untersuchungsliege, nachdem ich in kurzen Worten meine Beschwerden geschildert habe. Das mit den Blutungen könne sie nicht genau erklären, wahrscheinlich durch übermäßigen Stress bedingt.
    „Kann sein“, flüstere ich fast lautlos.
    Die Schmerzen zwischen den Rippen seien eindeutig Neuralgien, diagnostiziert die resolute Medizinerin.
    „Hatten sie damit schon einmal zu tun?“ forscht sie nach.
    „Ja, im Gesicht, Trigeminusneuralgie, immer mal wieder seit meiner Kindheit. Doch zwischen den Rippen noch niemals.“
    Meine Stimme klingt erschreckend schwach in meinen Ohren, ohne Saft und Kraft.
    Sie erzählt mir noch, dass die Schmerzen, die bei einer Trigeminusneuralgie auftreten, zu den stärksten für den Menschen vorstellbaren Schmerzen gehören.
    Das weiß ich durch Erfahrung.
     
    Und dass eine Neuralgie immer ein Schmerz ist, der durch eine Nervenschädigung verursacht ist.
    Meine Nerven sind in jeder erdenklichen Beziehung im Moment beschädigt. Was bemitleide ich mich.
    Ich atme möglichst flach. Das Ein- und Ausatmen schmerzt immens. Jede Bewegung bringt mich dazu, mit den Tränen zu kämpfen.
„In den nächsten Tagen oder gar Wochen bleibt ihnen nichts anderes übrig, als zu liegen.“
    Sie drückt mir eine große Packung Schmerzmittel in die Hand und erklärt die Dosierung.
    Bedauernd schlägt sie vor: „Eine Wärmeflasche hilft wahrscheinlich auch etwas. Und dann gilt es abzuwarten, so was kann Wochen oder Monate dauern. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht.“
    Nun, das weiß ich ja auch von den Neuralgien im Gesicht.
    Zufrieden, dass ich endlich mal Gewissheit habe, woher diese unsagbaren Schmerzen in meinem Körper kommen, lege ich mich die nächsten Tage ins Bett. Die erzwungene Ruhe lässt mich klarer über mein Leben nachdenken, als es zuvor möglich war.
    Jedem Durchbruch geht ja schließlich in der Regel ein Zusammenbruch voraus.
    Ich weiß, dass ich endlich mein Leben ändern sollte. Dieses Mal ist es mir ernst damit. Wie immer.
     
    Die Einen versuchen es erfolglos mit Willenskraft und die Anderen treffen einfach eine Entscheidung. Ich treffe jetzt eine Entscheidung.
    Zuerst genehmige ich mir endlich meine Tränen. Weinend liege ich viele Stunden in meinem Bett, lasse diese angestaute Flutwelle endlich mal zu. Tag und Nacht verschwindet aus meiner Vorstellung, meine Söhne bringen mir abwechselnd etwas zum Essen vorbei und sehen nach mir. Ich habe dieses Alleinsein dringend nötig und komme stückchenweise bei mir selbst an.
    Nach einigen Wochen bin ich soweit hergestellt, dass ich einen Termin bei meiner Therapeutin wahrnehmen kann.
    Valentina ist begeistert darüber, als ich ihr erzähle, dass ich meine Tränen endlich mal zugelassen habe. Ich sei auf einem guten Weg, betont sie und drückt mich herzlich zum Abschied.
    Dieses Mal hat sie sogar darauf verzichtet, zu erwähnen, dass ich endlich Hartz IV beantragen soll.
     
    Mit einem Bündel Unterlagen finde ich mich in der Behörde ein, um den Lebensunterhalt zu sichern. Ich bekomme Rat und Tat, fühle

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