Die Lebenskünstlerin (German Edition)
Selbsthilfegruppen kenne, ob es möglich sei, in den Räumen der evangelischen Kirche einen Kurs anzubieten. Einen Kurs zur inneren Einkehr, auch mittels Bewegungselementen. Problemlos erhalte ich eine Zusage von ihrem Vorgesetzten, dem Gemeindepfarrer.
Kirche und Mystik vereint, so soll es sein.
Begeistert rufe ich meinen ganzen Bekannten- und Freundeskreis an, ernte Zustimmung für mein Vorhaben und einige zuverlässige Zusagen.
In den nächsten Wochen lege ich die Karten, lass den Pendel schwingen, animiere unbewegliche Hausfrauen und gestresste Geschäftsmänner zur dynamischen Meditation, stärke ihr Herzchakra und tanze mit ihnen wild bei der Kundalini-Meditation.
Das Ganze bringt mir gutes Geld ein, ich kann davon leben, bin aber ganz tief in mir drinnen sehr, sehr unglücklich. Nach außen spiele ich die spirituelle Geistreiche, die ihr Leben im Griff hat und zu Hause weine ich, weil ich dieses Schmerzhafte in mir kaum noch zähmen kann.
Ich lebe ein Leben, welches nicht meins ist. Die Kluft zwischen dem, was ich vorgebe zu sein und dem, was ich wirklich fühle, wird immer unüberbrückbarer.
Doch meine Kunden wollen nichts von meiner Trauer und meinem Schmerz wissen, sie wollen ihre Gefühle bei mir abladen und erwarten einen Rat oder wenigstens eine Hilfestellung.
Ich fühle mich überfordert und ausgepowert. Dazu leide ich seit Tagen schon an einer nicht enden wollenden Monatsblutung, die mir zusätzlich das Leben erschwert. Die Wechseljahre können es noch nicht sein, zum Arzt möchte ich nicht gehen. Dafür fühle ich mich zu krank und nicht stark genug.
Der einzige Trost in meinem jämmerlichen Leben sind meine Söhne, meine Therapeutin Valentina, meine Freundinnen und die Besuche in den Selbsthilfegruppen. Doch auch dort erfahre ich keine echte Hilfe. Wahrscheinlich, weil ich nicht offen und bereit dafür bin.
Immer noch weigere ich mich, vom Staat Unterstützung anzunehmen. Doch ich spüre deutlich, dass ich an meiner inneren Grenze angelangt bin.
Als die Kurse schließlich abgeschlossen sind, verschiebe ich eine Verlängerung auf unbestimmte Zeit. Es geht mir zunehmend schlechter, ich weine scheinbar grundlos, hasse mich dafür.
Die Tage sind nur noch fahl und grau, die Nächte voller Einsamkeit und Leid. Ich bin voller Schmerz und tiefer Trauer, meine letzten Hoffnungen sehe ich elend sterben. Permanent stelle ich mir die Fragen: Warum? Wozu?
Meine bodenlose Leere stellt mich auf eine harte Probe. Ich versuche dagegen aufzubegehren, doch es bleibt beim Versuch. Meine Gefühle scheinen mich zu beherrschen und mit hinab zu ziehen in den Sog der Hölle. Resignation pur.
Die Angst hat mich eisig umklammert, Hoffnungslosigkeit von mir Besitz ergriffen. In der Sinnlosigkeit meines überflüssigen Lebens höre ich nur noch meine jammernde Stimme. Mein Geist scheint gefangen und geknebelt in Selbstmitleid. Der innere Schmerz ist für mich auch körperlich spürbar. Zwischen meinen rechten Rippen sticht es unsagbar.
Aufgrund des inneren und äußeren Schmerzes komme ich mir vor wie hinter einer Nebelwand, vom wirklichen Leben abgetrennt. Gefangen in mir selbst, auf dem Grund der Hölle. Die Schmerzen machen mich fast wahnsinnig, ich kann mich kaum noch rühren, schleppe mich mühsam unter Tränen ins Badezimmer.
Als die Blutungen und die unsagbaren Schmerzen nicht mehr auszuhalten sind, betäube ich mit starken überdosierten Schmerzmitteln meinen Körper und quäle mich zum Auto. Ich bin endlich bereit, einen Arzt aufzusuchen. Mir ist schwindelig, der kalte Schweiß bricht mir aus allen Poren. Zitternd fahre ich los.
Ich schaffe es alleine. Mein Lebensmotto bricht bröckelnd von mir ab. Doch wenigstens einen Arzt aufsuchen, das will ich alleine.
In der ersten Praxis weist man mich sogleich ab, sie hätten schon zu viele Patienten, ich müsse es woanders versuchen.
Langsam quäle ich mich die vier Stufen hinunter. In meinen Ohren summt es, vor meinen Augen flimmert es, die vorbeifahrenden Autos höre ich wie aus weiter Ferne. Irgendwie schaffe ich es, mich wieder hinter das Steuer zu setzen.
Auch in der nächsten Praxis geht es so weiter. Bis nach Hanau ins Krankenhaus zu fahren, traue ich mir inzwischen nicht mehr zu. Die Schmerzen sind so übermächtig, dass ich meine ganze Beherrschung benötige, um nicht laut aufzuschreien.
Weinend sitze ich nun im Auto. Viermal bin ich jetzt abgewiesen worden, ohne Mitleid, ohne Wenn und Aber.
Ich rufe Ricarda an, die hier in
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