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Die Lebenskünstlerin (German Edition)

Die Lebenskünstlerin (German Edition)

Titel: Die Lebenskünstlerin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ute R. Albrecht
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steckte ich in einen kleinen bezaubernden Rahmen und überreichte sie ihm zum Geburtstag. Er war damals begeistert, hocherfreut, da die Vorliebe für Westernhagen die ziemlich einzige Gemeinsamkeit bedeutete, die er mit mir teilte.
    Keine Ahnung, ob er in der Zwischenzeit bemerkt hat, dass sein Ticket nur eine wertlose Kopie ist. Womöglich wird er erst darauf aufmerksam, wenn er am Einlass steht und Probleme mit dem Sicherheitsdienst bekommt.
    Ich kann mir leider meine kleine Gehässigkeit nicht verkneifen und selbst Elena, die vorhin nach dem Besuch der Wahrsagerin so durcheinander gewesen ist, lacht schallend über diese lustige Vorstellung. Sie ist nun im Besitz der zweiten Karte und freut sich über unseren bevorstehenden Besuch zum Live-Konzert.
     
    Gute Gefühle wechseln mit trüben Gedanken ab. Eine gleichbleibende Stimmung vermag ich nicht zu halten. Malen ist immer noch die Hauptbeschäftigung, traurige dunkle Bilder, die inzwischen meine ganze Wohnung vereinnahmen.
    Mit der morgendlichen Kaffeetasse in der Hand laufe ich bewusst durch meine Räume. Das mache ich von Zeit zu Zeit, um überflüssiges Gerümpel aufzuspüren und gegebenenfalls zu entsorgen. Diese vielen dunklen Bilder dominieren absolut mein ganzes Zuhause.
    Depressive Bilder voller Seelenmüll und mit Altlasten bestückt. Mein ganzer Schmerz scheint in ihnen zu stecken. Die unsagbare Bitterkeit der Tränen, die qualvolle Pein, die mir dieses Leben schon bescherte. Da stehen sie nun, Zeugen meiner düsteren Seele.
    Ich will sie nun nicht mehr um mich haben. Sie sollen weg, ich kann sie nicht mehr ertragen. Vergangenheit adieu.
    Entschlossen stelle ich den Kaffee ab und hole das größte Messer, welches ich in der Küche finden kann.

Bildermord und anonymer Schutz
     
    Mal abgesehen von den praktischen Überlegungen, nämlich dass ich so große Leinwände unmöglich in den Müllcontainer werfen kann, vermag mir die bevorstehende Zerstörung dieser düsteren Bilder bestimmt noch eine gewisse Art von Erleichterung zu verschaffen, die ich auf anderem Wege niemals erreichen würde.
    Ich ersteche vorsichtig das erste Bild.
    Mein scharfes Messer bohrt sich knirschend durch dick bemalte Leinwand. Das Gewebe gibt breitwillig nach und meine Lust auf das Ermorden meiner düsteren Bilder erfüllt mich mit einer Art Genugtuung.
    Ich steche und metzle sie ab, stellvertretend für die Personen und Erlebnisse, die ich in mir als schmerzhaft verbucht habe.
    Wütend zerbreche ich die hölzernen Verstrebungen, worauf die Leinwände gespannt sind, reiße das geleimte Holz übermütig auseinander. Ein Bild nach dem anderen muss daran glauben.
    Tod der Vergangenheit, nieder mit dem schwarzen Höllensud.
     
    Dabei weine und lache ich, es fühlt sich an wie ein kleiner Sieg über ein Stück Vergangenheit. Es entsteht neuer Raum für die Möglichkeiten der Gegenwart und Zukunft, die mir immer noch bleiben und die mir gehören können.
    Als ich fertig bin, sehe ich mir das wilde Durcheinander an und beschließe, es sofort zu beseitigen. In blaue kräftige Abfallsäcke stopfe ich die nun handlichen Teile meines Gemetzels. Anschließend landen sie in den großen Containern vor dem Haus.
    Befreit atme ich auf, als ich danach wieder meine Wohnung betrete. Eine gute Entscheidung.
    Nach dem Abstechen der Bilder geht es mir deutlich besser, auch gesundheitlich. Meine Schmerzen sind zwar noch vorhanden, aber werden meist nur bei bestimmten Bewegungen, wie Treppenlaufen oder Bücken ausgelöst. Ich kann prima damit leben und benötige längst keine Schmerzmittel mehr.
     
    Carmen und Elena laden mich zu einem Bezirkstreffen ihrer Essgestörtengruppe ein und ich sage erfreut zu. Die Fressis mag ich. Zudem kann ich mich zugehörig fühlen, weil ich selbst jahrelang essgestört war.
    Bulimie bis vor bald zehn Jahren. Das heißt, ich habe exzessiv gefressen und gekotzt, gefressen und gekotzt. Da gibt es nichts zu beschönigen. Das war grausam und selbstzerstörerisch. Und immens teuer. Massenhaft Lebensmittel, die ich in ausgetüftelten Schichten heimlich verschlang. Schreckliche Zeit. Nicht zu empfehlen.
    Damals hatte ich Herzprobleme, Magen- und Darmbeschwerden. Ich hasste und verabscheute mich unendlich und lebte in Heimlichkeit, Schuld und Scham.
    Was ich immer wieder runter schlucken wollte, war die aufkommende Erinnerung der Misshandlungen in meiner Kindheit. Und die Ohnmacht aufgrund meiner Ehe mit einem Alkoholiker. Blankes Entsetzen. Ich fraß die Fassungslosigkeit

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