Die Lebenskünstlerin (German Edition)
sein?
Ziemlich am Boden zerstört erzähle ich meiner Therapeutin davon.
Sie bleibt unbeirrt verständnisvoll, so auch dieses Mal. Ich soll einfach malen, was in mir ist, meine Gefühle zum Ausdruck bringen und nicht so sehr auf die Schönheit achten. Es muss doch niemandem gefallen.
„Malen ist Ausdruck der Seele“, sie lacht, als sie meine eigenen Worte für mich wiederholt.
„Die Gefühle zum Ausdruck bringen und auf die Leinwand bannen, so hast du es mir mal erklärt.“
Die herzensgute Valentina lächelt ermunternd. Sie hat ja recht, es braucht ja niemandem zu gefallen. Nicht mal mir.
Dunkle Farben in mehreren Schichten starren mich später scheinbar vorwurfsvoll von den Leinwänden an. Egal, ich male und male. Und male.
Inzwischen liegen die großen Leinwände auch im Wohnzimmer zum Trocknen. Allesamt schwere dunkle Bilder, die eine unsagbare Traurigkeit und tiefsten Schmerz ausstrahlen. Nicht zum Verkauf geeignet, aber es zieht mich immer wieder zum Malen.
Ich bin wie besessen. Schleppe mich nochmals zum Einkaufsmarkt und versorge mich mit etlichen Leinwänden und frischer Farbe.
Der Tagesablauf wird recht übersichtlich. Hauptsächlich Malen. Ich fühle mich wie in einer anderen Welt.
Obendrein schreibe ich unendlich viel in meine Tagebücher und lese alles, was mich berührt. Stapelweise Selbsthilfebücher leihe ich mir aus der Stadtbibliothek, von meinen Freundinnen und von Valentina.
In mir ist ein unsagbarer Hunger nach einem neuen besseren Leben. Es fühlt sich so an, als hätte ich mir zuerst meine Vergangenheit bewusst gemacht, um jetzt die hiervon abgetrennten Gefühle zu durchleben.
Das gibt mir Hoffnung auf eine Zukunft, in der ich in Frieden mit der Vergangenheit leben kann. Klar weiß ich, dass ich die Vergangenheit nicht ändern kann. Doch mit den unterdrückten Gefühlen kann ich auch nicht den Augenblick bewusst erleben.
Ich durchquere ein dunkles Tal, ein untrügliches Zeichen dafür, dass etwas in mir wachsen will, das etwas in mir machtvoll ans Licht drängt.
So drücke ich all meinen Schmerz durch das Malen und Schreiben aus. Ich kämpfe nicht mehr gegen die Tränen an. Es gelingt mir sogar, liebevoller mit mir selbst umzugehen.
Meine innere Stimme ist mein bitterster Gegner und Kritiker. Ein Mischmasch aus Eltern, Erzieher und Exmännern, die ich mir zu eigen gemacht habe. Giftige Stimmen, die mich fortwährend herabsetzen und bemängeln.
Die Entscheidung, meine innere Stimme mehr zu beachten und sie zu überprüfen, ob sie wirklich meine ist, das ist ziemlich das Heilsamste, was ich in den letzen Tagen gelernt habe.
Unsagbar schwer ist es, mich ständig zu korrigieren, wenn die boshafte Kritikerin in mir wieder loslegt und mich wirkungsvoll niedermacht. Meine eigene innere Stimme spricht liebevoll zu mir, übernommene Stimmen übertönen sie bisweilen leider. Statt diese destruktiven Aussagen zuzulassen, bin ich stetig bemüht, sie in liebevollere umzuwandeln.
Du blöde Kuh bringst doch sowieso nichts zustande - verändert sich dann möglicherweise in: Du schaffst das schon, sei lieb zu dir.
Je mehr ich meine Gefühle zulasse, um so akzeptabler werden die Schmerzen. Meine Blutungen haben einfach aufgehört, die Regel hat wieder ihren normalen Ablauf.
Anscheinend verursacht mein innerer Widerstand gegen die Gefühlsflut diesen starken Schmerz. Krankheit ist immer eine Krise und jede Krise schreit nach Entwicklung.
Die bodenlose Verzweiflung verabschiedet sich in dem Maße, wie ich anfange, dem Leben und meiner Zukunft zu vertrauen.
Ich bin neuerdings recht spirituell und esoterisch, stelle ich nüchtern fest. Egal, wenn es mir hilft, kann es nicht schaden.
Da es mir inzwischen körperlich richtig gut geht, besuche ich mit Elena den Herbstmarkt. Arm in Arm schlendern wir bei schönstem Wetter an den vielen Ständen entlang. Wir schlemmen heiße Germknödel mit Pflaumenmus und lachen viel miteinander. Ich fühle mich glücklich in diesem Augenblick. Übermütig bleiben wir vor einem Wagen mit der vielversprechenden Aufschrift Wahrsagerin stehen.
Nach kurzem Überlegen klopfen wir mutig an die Wagentür. Zuerst klettert Elena die Eisenstufen hoch, um im Inneren zu verschwinden. In der Zwischenzeit bewundere ich den außen angebrachten Schaukasten und die eindrucksvollen Ornamente am Wagen.
Als Elena ungefähr nach einer Viertelstunde die Tür wieder aufmacht und vorgeblich erfreut in meine Arme fällt, lasse ich mir einen Besuch bei der besagten
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