Die Lebenskünstlerin (German Edition)

gelebtes Leben.
     
    Vertrauen muss ich noch üben. Vertrauen ins Leben. Ich werkele an einer Art Gebet und schreibe das Resultat auf. Es soll mir als Motivation dienen:
    Großer Geist
    Ich vertraue meinen Willen und mein Leben
    Deiner Sorge an.
    Bitte lass mich Deinen Willen erkennen –
    und gib mir die Kraft, ihn auszuführen.
    Ich gebe den schmerzhaften Widerstand auf,
    vertraue dem Fluss des Lebens.
    Ich bin behütet und beschützt,
    geborgen in Deinen Händen.
    Danke für die göttliche Führung -
    auf der Suche nach dem Unsterblichen.
     
    Da ich nicht an eine institutionalisierte Religion glaube, habe ich die Bezeichnung Großer Geist gewählt. Mir ist die Anbetung der Natur und des Lebens wichtiger als die Verehrung der heiligen Bücher. Die strengen Regeln der meisten Religionen mit einem kontrollierenden Gott und das Prinzip von Schuld und Sühne haben nichts mit meiner Vorstellung von einem Leben in Liebe zu tun.
    Da sind mir heidnische Bräuche teils lieber mit ihrer spontanen Anbetungsform, statt die geschlossenen Kreise der kirchentreuen Gläubigen, in denen gelehrt wird, was erlaubt ist und was verboten.
    Es scheint, dass immer, wenn die Regeln einer Religion strenger werden, eine große Anzahl von Menschen diesem entgegen wirken, indem sie in der Verbindung mit dem Spirituellen nach mehr Freiheit suchen. Wie im Mittelalter.
     
    Es existieren unzählige verschiedene Religionsgemeinschaften. Alle preisen ihren Gott als einzig richtigen. Das ist für mich die beste Bestätigung, dass keiner von ihnen die Wahrheit wirklich weiß. Das ist wie mit den Diäten. Wenn eine dauerhaft funktionieren würde, gäbe es keine Dicken mehr.
    Eine buddhistische Geschichte erzählt, wir hätten 32 Seelen. Ab und an verlieren wir eine davon durch einen Unfall, ein schlimmes Erlebnis, einen Schock, ein Trauma.
    Durch ein besonderes Ritual werden alle verlorenen Seelen wieder zurückgeholt und durch ein weißes Baumwollbändchen am Armgelenk symbolisiert. Die Schamanen gehen mitunter noch einmal an den Ort des Geschehens zurück, zum Beispiel bei einem Unfall. Dann wird die verlorene Seele aufgefordert, wieder zurückzukehren.
    Diese Vorstellung finde ich passend für meine momentane Situation. Denn auch einige meiner verlorenen Seelenanteile sind zu mir zurück gekehrt.
    Dessen ungeachtet liegt die Antwort nach dem Sinn des Lebens für mich keinesfalls im religiösen Glauben. Das passt einfach nicht zu mir. Schließlich bin ich ein Freigeist, oder strebe an, einer zu sein. Wenn auch kein Agnostiker.
    Ich bin ständig auf der Suche nach der allumfassenden Wahrheit und möchte mich von überholten Gedanken freimachen.
    Ich mag keine verkrusteten Glaubenssätze, Tabus und Dogmen. Doch Freiheit, Gleichwertigkeit und Friedlichkeit sind unabdingbare Werte für mich und mein Weltbild.
     
    Carmen und Elena sind aufgeregt und wollen über meine Recherchen nichts wissen. Die bevorstehende Freizeit beherrscht nunmehr all ihre Gedanken. Sie haben kein offenes Ohr für die Frage nach dem Lebenssinn. Ich komme mir zwischen den Beiden vor wie aus einer anderen Welt. Gelassen, eins mit mir selbst und längst nicht mehr so aufgedreht wie noch vor kurzem. Ruhiger fühle ich mich, ganz ungewohnt. Ein neues Gefühl.
    Es wird gemutmaßt, wer denn alles zur Freizeit fährt, was alles angeboten wird. Das Wetter, die Organisation der Fahrt dorthin, an mir prallt momentan alles ab. Ich kann es nicht erklären, aber ich fühle mich wohl damit.
    Vielleicht habe ich nicht nur meine Vergangenheit überlebt, sondern bin mit dem größten Teil in der Gegenwart angekommen. Oder in irgendeinem Zwischenreich.
    Elena erzählt von einem Engelkurs auf irgendeiner Freizeit, an dem sie teilgenommen hat. Ein Kurs über Engel, das finde ich befremdlich. Aber warum nicht?
    Ein persönlicher Führer oder Engel ist oft auch jemand, den man in seinem Leben kannte. Vielleicht ist ja längst der Geist meiner Mutter am Werk?
    Im Himmel überdenken die Geistwesen ihr Leben und korrigieren ihr damaliges Tun. Jetzt hat meine Mutter Gelegenheit dazu, diese Chance voll auszuschöpfen und zu nutzen.
    Sie hat es mir auf ihrem Sterbebett zugesichert. Schöner Gedanke.
     
    Mit Freunden besuche ich einige der unzähligen Weihnachtsmärkte in der Umgebung. Sie faszinieren mich im Moment. Ich sehe und höre den Trubel, die vielen Menschen, manche hetzen und rennen, drängeln an die Auslegware der einzelnen Ständchen.
    Ich will nichts, ich brauche nichts, so trottle ich den