Die Lebenskünstlerin (German Edition)
anderen hinterher, bin in einer entfernten Welt, genieße die Düfte von Mandeln, Lebkuchen, Kräuterbonbons. Sogar Bratwurstduft rieche ich bewusst, nehme alles um mich herum wahr, ohne ein Teil der Betriebsamkeit zu werden, doch durchaus ein Teil des Ganzen.
Jetzt wird es Zeit, einige Sachen für die bevorstehende Freizeit zusammen zu packen. Dazu beschränke ich mich auf das Wesentliche. Mit so wenig Gepäck bin ich schon lange nicht mehr verreist.
Am ersten Feiertag geht es los. Carmen hat die Haare frisch färben lassen, trägt neue Klamotten. Trotz ihrer fülligen Figur ist sie meist modisch und ausgefallen gekleidet.
Elena hat ihre Haare wie immer selbst gefärbt, helles Weiß mit einem kräftigen Ton Orange am Hinterkopf.
Ich habe nichts gefärbt und bin mit meinen langen Haaren bis zum Po glücklich, denn außer gelegentlichem Schneiden der Spitzen brauche ich nichts zu unternehmen.
Die Fahrt ist kurzweilig, wir lachen und spaßen, meine zwei Lieblingsdamen stecken mich mit ihrer Vorfreude endlich an. Meine religiöse Sinnfindungstrance weicht einer beschwingten Spannung auf die kommenden Tage. Da Carmen fährt, bin ich auf dem Rücksitz ihres Autos gelandet, fühle mich dort wohl, wie ein glückliches Kind, welches mit seinen Eltern in den heiß ersehnten Urlaub fährt.
Viel zu früh erreichen wir das beschauliche Dorf mit der stillgelegten Mühle an einem kleinen Fluss mitten im wilden Spessart. Das rote Backsteinhaus mit den geteilten Fenstern ist ziemlich groß, so dass 120 Leute darin locker übernachten können. Dazu gibt es einige Gemeinschaftsräume, die wir als Gruppe mitnutzen werden. Das idyllische Anwesen ist im Sommer umgeben von saftigen Wiesen, schon oft lagen wir dort gemütlich auf unseren Decken und sonnten uns.
Doch dieses Mal ist es recht kalt, Dezember, es liegt Schnee und der Himmel verspricht noch mehr von dieser weißen Pracht.
Elena umarmt gerade die Hausmeisterin, lacht und schwatzt mit ihr, während Carmen mit mir die Zimmer inspiziert.
Nach und nach kommen die anderen Gäste an, von allen Seiten höre ich laute Begrüßungsrufe, die meist in herzlichen Umarmungen münden.
Von außen könnte man meinen, es handelt sich um eine Sekte oder so was, doch die Dorfbewohner sind im Laufe der Jahre an diese Gruppen gewöhnt und freuen sich über zusätzliche Einkäufer. Einige von uns essen nur bestimmte Lebensmittel, die sie hier besorgt bekommen, um ihren Speiseplan in der Herberge abzurunden.
Carmen ist mit der Bettenaufteilung in unserem Zimmer zufrieden, ich ebenso. Für Elena bleibt das dritte Bett am Fenster, sie mag Frischluft, ich nur aus der Ferne und Carmen hat lieber die Heizung nachts laufen. Das wird schon.
In diesem spartanisch eingerichteten Zimmer befindet sich für jede von uns ein Bett, glücklicherweise kein Hochbett, und ein Schrank mit vier schmalen Fächern, ähnlich eines Spindes.
In der Mitte des Zimmers stehen drei unterschiedliche Holzstühle, alle ziemlich abgeschabt wie der Rest des Inventars, um einen kleinen Tisch mit weißer zerkratzter Tischplatte herum.
Absolut keinerlei Komfort, doch hier kommt es auf die zwischenmenschlichen Begegnungen an und die Muße zur inneren Einkehr. Niemals gleicht eine Freizeit der anderen.
Die Meisten leben alleine und sind buchstäblich vereinsamt. Die Freizeit ist die einzige Gelegenheit, um mit anderen Menschen zusammenzutreffen. Entsprechend dieser mangelnden sozialen Kompetenz, einer regelrechten Unfähigkeit, sich in einer Gemeinschaft einzufügen, gibt es natürlich genügend Konfliktpotential.
Bedächtig räume ich meine Sachen in den Spind, als Elena schnell ihr Gepäck ins Zimmer wirft und sich dann wieder ganz den Ankommenden widmet.
Carmen möchte sich ausruhen, so ziehe ich mir meinen Mantel über, um draußen ein wenig dem Trubel teilhaben zu können.
Vor dem alten Backsteingemäuer im inzwischen zugeschneiten Innenhof wird es mir dann recht schnell zuviel. Andauernd werde ich von überdrehten Menschen umarmt. Die ganze Euphorie geht mir auf den Geist, das laute Gekreische und die immer gleichen Begrüßungsfloskeln.
Wenn alle wieder beruhigt in ihren Trott fallen, kann ich die Freizeitler besser ertragen. Daher mache ich mich still und heimlich auf den Weg zur Steinbrücke und sehe dem turbulenten Gewusel von Weitem zu. Als ich auch hier nicht mehr ungestört bin, stecke ich meine langen Haare unter meine Kapuze, wickle den breiten Schal über das halbe Gesicht und laufe auf dem
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