Die Lebküchnerin
die Küche lässt. Ich kann Schwester Dietlindes frömmelnden Ton und ihr dummes Geschwätz nicht mehr ertragen. Ständig erzählt sie mit glasigem Blick, dass ihr der Herr Jesus Christus leibhaftig erschienen sei. Die Küchenmädchen hängen an ihren Lippen, aber ich glaube nicht, dass der Herr sich so häufig auf Erden zeigt.«
»Ich glaube, sie hat das alles in Christine Ebners Schriften gelesen«, erwiderte Benedicta scharfzüngig und erkannte an dem fragenden Blick der Freundin, dass diese offenbar nicht wusste, wer diese Christine war.
»Christine Ebner war eine Dominikanerinnen-Schwester in Engelthal. Vor nunmehr über vierzig Jahren war sie Priorin. Nach einem erfüllten Leben im Dienst des Herrn starb sie hochbetagt im Jahr 1357 in unserem Kloster …« Benedicta stockte. Ganz im Gegensatz zu mir, sollte ich wohl ergänzen, schoss es ihr durch den Kopf. »Sie hinterließ ein Tagebuch. Um sie zu sehen, reiste sogar Kaiser Karl nach Engelthal. Viele große Männer ließen sich auf der Durchreise von ihr segnen. Stell dir vor, was sie einst voller Stolz notierte und was ich auswendig gelernt habe, damit es mich endlich erfüllen möge: Ich lag bei größtem Frost nur mit einem Hemd bekleidet auf der Erde und kasteite mich mit Ruten, Dornen und Nesseln, dass ich wund wurde und viel geblutet habe. Der Rock klebte mir am Rücken, so dass ich lange Zeit nicht wagte, mich anzulehnen, weil der Schmerz so heftig war. «
Voller Abscheu schüttelte sich Agnes. »Und sie hat wirklich geglaubt, dass der Herr Jesus sie dann lieber hat?«
Benedicta nickte. »Fast alle Schwestern glauben daran, und viele von ihnen streben nach diesem höchsten Leiden, um dem Herren näher zu sein. Schwester Adelheit Langmann soll sich sogar mit einer Igelhaut geschlagen haben.«
»Pfui Teufel!«, rief Agnes und verzog angewidert das Gesicht.
»Sie glauben, dass sie durch das irdische Leiden Gott näher sind und dass er erst, wenn sie blutend daniederliegen, überhaupt mit ihnen spricht. Und dass sie dann seine Botschaften in ihren Visionen wiedergeben können an uns, die wir Gott nicht so nahe sind. Manche glauben sogar, dass sie zu Engeln werden …«
»Ja, ja, das predigt uns Schwester Dietlinde auch von morgens bis abends. Dass sie bald ein Engel sein wird! Und während sie diese schrecklichen Lebkuchen backen lässt, erzählt sie uns in allen Einzelheiten von den alten Schwestern drüben im Siechhaus. Dass sie sich nicht behandeln lassen wollen, sondern lieber mit Löchern groß wie Eier daniederliegen. Und sie sind auch noch stolz darauf! Sei ehrlich. Glaubst du auch, dass Leiden und Krankheit, Siechtum und Sterben so ungemein erstrebenswert sind?«
Benedicta blickte verlegen zur Seite. Sie wollte weder lügen noch die heilige Sache der Schwestern verraten. Wie konnte sie der Freundin nur antworten, ohne sich des einen oder des anderen schuldig zu machen? Sie rang nach Worten, doch dann hatte sie sich eine passende Erklärung zurechtgelegt.
»Ich glaube, dass es die Schwestern als ihr höchstes Ziel begreifen, und ich täte es ihnen gern gleich, aber ich kann es nicht – und schon gar nicht mit einem Gefühl der Glückseligkeit. Und weißt du was? Ich glaube nicht, dass der Herr mich weniger liebt, wenn ich, statt mich zu geißeln, für schmackhafte Lebkuchen sorge.«
»Schwester Dietlinde beklagt sich unentwegt bitterlich bei uns, dass sie in der Küche ihre Zeit verschwende, die sie für ihre Vertiefung in das Leiden Christi viel besser hätte gebrauchen könne. Sie sagte sogar, sie beneide dich darum, dass du in deiner Zelle bleiben musst. Und wie froh sie sei, wenn sie eine Woche lang keinen Menschen sehen müsse … und dass es ungerecht sei, dass man dich ungestört zum Herrn beten lasse. Sie gäbe alles darum, mit dir zu tauschen …«
»Das hat sie wirklich gesagt? Agnes, ich habe einen glänzenden Einfall!«, unterbrach Benedicta ihre Freundin plötzlich ganz aufgeregt und lächelte spitzbübisch. Sie näherte sich dem Ohr der Köchin. »Wir werden der armen Schwester ihren Wunsch erfüllen. Komm mit in die Küche! Ich werde ihr ein verlockendes Angebot unterbreiten«, flüsterte sie.
Übermütig fasste sie Agnes bei der Hand und zog sie mit sich fort.
5
Agnes wollte schier vor Neugier platzen und bestürmte Benedicta auf dem ganzen Weg zur Küche mit Fragen.
»Nun spann mich doch nicht dermaßen auf die Folter! Was hast du vor?«
»Lass dich überraschen! Du wirst noch früh genug dahinterkommen«, erwiderte
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