Die Lebküchnerin
Benedicta lachend.
Als sie die Küche betraten, fanden sie Schwester Dietlinde genauso vor, wie Agnes es der Freundin gerade beschrieben hatte. Beschwörend führte sie das Wort und wurde dabei von den Küchenmädchen umlagert.
»Als ich im vierzehnten Jahr war, lag ich vor einem Altar und zwang meine Sinne so sehr, dass mir das Blut zu Mund, Nase und Ohren herauskam …«
»Das hat sie doch tatsächlich aus dem Tagebuch der Christine Ebner gestohlen. So schrieb diese über Schwester Mechthild Krumpestin«, raunte Benedicta Agnes zu, bevor sie sich vor der frommen Mitschwester aufbaute. »Und das ist Euch wirklich genauso widerfahren, Schwester Dietlinde? Am eigenen Leib? Überlegt recht gut, was Ihr antwortet. Lügen ist eine Sünde«, sagte sie mit spöttischer Stimme.
»Was habt Ihr hier zu suchen? Soviel ich weiß, solltet Ihr in Eurer Zelle sein und Euch in Demut üben«, giftete Dietlinde zurück, aber an dem erschrockenen Blick erkannte Benedicta unschwer, dass sie ins Schwarze getroffen hatte.
»Aus diesem Grund, liebe Schwester, bin ich hier«, erwiderte Benedicta übertrieben ehrerbietig. »Ihr wisst, dass das Wunder, das Ihr da gerade für Euch beansprucht, in diesem Kloster einst einer anderen Schwester widerfuhr und dass unsere ehrwürdige Christine Ebner jenes Erlebnis wortwörtlich in ihrem Tagebuch schilderte. Ach, Ihr dürft Euch glücklich schätzen, dass Euch ebensolche Gnade widerfährt wie Schwester Mechthild! Ihr kennt doch die Geschichte ihres Leidenswegs, oder?«
Genüsslich weidete sich Benedicta an dem satten Rot, welches Schwester Dietlindes blasses Gesicht bei jedem ihrer Worte dunkler färbte.
»Benedicta, wenn Ihr nicht augenblicklich in Eure Zelle zurückkehrt, werde ich der Frau Priorin davon berichten müssen!«, schrie Dietlinde mit sich überschlagender Stimme.
Agnes machte eine Bewegung, die den Küchenmädchen bedeutete, sich außer Hörweite zu begeben. Sie selbst blieb stehen und beobachtete voller Spannung das weitere Vorgehen der Freundin.
»Schwester Dietlinde, darf ich Euch zuvor eine Frage stellen? Was würde die ehrwürdigste Priorin wohl sagen, wenn sie erführe, dass Ihr in der Küche die Leiden der Mechthild Krumpestin als Eure eigenen ausgebt?«
Dietlindes Gesichtsfarbe wechselte von Tiefrot zu Kalkweiß. »Nein, das ist nicht wahr!«
»Ihr dürft nicht lügen, aber wenn Ihr alles gesteht, wird Euch vielleicht vergeben«, ermutigte Benedicta ihre Mitschwester scheinbar versöhnlich. Dabei weidete sie sich an Dietlindes Hilflosigkeit. /
Verstört blickte die ertappte Schwester von Benedicta zu Agnes.
»Ihr werdet es doch nicht etwa der hochverehrten Priorin verraten?«
Benedicta schüttelte den Kopf und lächelte. »Niemals, ich habe noch niemals jemanden verpetzt. Außerdem ist mir zurzeit verboten, überhaupt zu sprechen. Aber hört mein Angebot und überlegt gut, ob wir die Priorin in diese Angelegenheit einweihen sollten.«
»Was könntet Ihr mir schon anbieten?« Dietlindes Stimme bebte vor Verachtung für die unfromme Mitschwester.
»Wie ich hörte, vermisst Ihr das Beten, das Geißeln und den Dienst am Herrn, weil Ihr in der Küche stehen müsst. Strebt Ihr nicht nach neuen Erlebnissen, die Euch dem Herrn näher bringen? Wollt Ihr nicht eines Tages die Schmerzen der Mechthild wirklich am eigenen Leib erspüren?«
»Ja, schon, aber wie könntet Ihr mir schon dabei helfen? Ausgerechnet Ihr, die das Leiden bekanntlich scheut?«
»Ihr irrt. Nur ich kann Euch von Eurem Elend erlösen. Ich muss noch lange Tage in meiner Zelle beten. Ich werde also weder in der Kirche noch an einem anderen Ort vermutet. Man glaubt mich in meiner Zelle, in der mich keine Menschenseele besuchen darf. Und am wenigstens vermutet man mich in der Küche«, entgegnete Benedicta mit verschmitztem Lächeln.
»Ich verstehe nicht ganz, was Ihr von mir wollt.«
Agnes stöhnte laut auf. »Das verstehe ja selbst ich. Und ich kann weder lesen noch schreiben oder fromme Sprüche von mir geben. Sie will statt deiner in der Küche stehen, und du kann dich statt ihrer ungestört in Benedictas Zelle dem Gebet widmen.«
»Und wenn jemand davon erfährt? Das ist doch ungehorsam«, widersprach Dietlinde heftig.
»Priorin Leonore ist für eine Woche zu den Schwestern nach Nürnberg gereist, und Schwester Walburga liegt mit einem Fieber danieder«, erklärte Benedicta eifrig. »Also, die Einzigen, die überhaupt nach mir sehen könnten, sind keine Gefahr. Und keine der anderen Schwestern
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