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Die Legende

Die Legende

Titel: Die Legende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Marthens
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bestraft würde, der Grabflüchtern helfe.
    Mit den Zeitungen in der Hand ging ich wieder nach unten und warf sie auf die Kiste zwischen Leif und Pfarrer Bernhard.
    »Der Kerl spielt sich auf, als hätte er die Macht bereits an sich gerissen«, schnaubte ich.
    Die beiden griffen sich ein Exemplar. Auf der Titelseite prangte in riesigen Lettern: »Vom Grabflüchter zum Welteneroberer! Toleranz und Anerkennung auch für Vampire!«
    Darunter stand ein Artikel, der wie ein Aufruf zur Revolution wirkte. Ein Ende der Unterdrückung der Vampire wurde gefordert, zur Not mit Gewalt; dazu gehörte auf Seite Zwei ein Essay, warum sie zur menschlichen Rasse und deshalb nicht in Reservate gehörten. »Greift zu den Waffen! Sprengt ihre Ketten! Nehmt sie als eure Brüder auf! Zusammen sind wir stärker! Nur gemeinsam gehört uns die Zukunft!« So schrien die abschließenden Worte den Leser in riesigen Lettern an.
    Ich wusste nicht, ob ich geschockt oder glücklich darüber sein sollte. Die Idee dahinter war ja gar nicht so schlecht, wenn ich an meine schönen Erfahrungen mit Robert dachte. Doch die plakative und propagandistische Ausführung gefiel mir gar nicht. Als ich dann auf Seite Drei auch noch ein langes Interview mit Fürst Philipp von Bismarck fand, in dem er sich als Erlöser der Vampire bezeichnete und von einer Weltrevolution sprach, die unter seiner Führung diese Rassen befreien würde, stand meine Meinung dazu fest: Der Typ war definitiv verrückt.
    Pfarrer Bernhard schien derselben Meinung zu sein, denn er schüttelte immer wieder den Kopf. Vor allem, als er auf Seite Vier den Artikel las, der von einem alten Mullendorfer Geist sprach, der den Vampiren zur Seite stehen sollte. Damit meinte er vermutlich den Dämon.
    »Der Kerl ist irre«, äußerte er schließlich. »Es ist tatsächlich keine Lösung, alle Andersartigen in Lager zu sperren, aber eine Revolution anzuzetteln geht auch nicht. Wir brauchen neue Gesetze, keinen Krieg.«
    »Andere Länder sind damit schon viel weiter«, gab ich mein Wissen kund. »Die sollten wir uns als Beispiel nehmen. Aber der Kerl ruft zum Blutvergießen auf. Wenn ich an die Ereignisse von gestrigen Abend denke, wundert mich das gar nicht.«
    »Und was wird mit denen, die nicht in die Kategorie fallen? Die weder Mensch noch Vampir sind? Nimm nur deinen Hund als Beispiel.« Er sah mich an.
    »Welchen Hund?«, fragte ich. »Ich habe keinen Hund.«
    »Kaspar.« Er sah mich erstaunt an.
    Kaspar. Der Name kam mir bekannt vor. Jetzt blickte auch Leif auf und sah mich fragend an.
    Dunkel erschien in meinem Hirn das Bild eines Hundes, eines braunen quietschvergnügten Rüden, der mich mit seiner Nase anstupste, damit ich ihn streichelte. Das war mein Hund. Kaspar.
    »Ach ja, Kaspar«, erwiderte ich lahm. »Wieso, was soll mit ihm sein?«
    »Er ist kein normaler Hund mehr«, sagte jetzt Leif.
    »Nein?«
    »Nein«, meinte jetzt auch Pfarrer Bernhard mit besorgtem Blick.
    Ich hatte keine Ahnung, was hier los war. Wollten mich die beiden veräppeln oder konnte ich mich wirklich nicht mehr an meinen Hund und sein Schicksal erinnern?
    »Was ist er?«, fragte ich zaghaft.
    »Er ist ein Vampirhund.«
    Bei diesem Wort tauchte verschwommen ein Bild in meiner Erinnerung auf: Kaspar, der durch die Wiesen und Wälder streifte, Wild jagte und dessen Blut trank. Der freudig mit dem Schwanz wedelte, als er mich sah, doch kaum, dass er mich begrüßt hatte, schon wieder davon rannte, einer Spur hinterher. Ich sah ihn auch, wie er in der dunkelsten Ecke unter der Treppe schlief. Kaspar, mein Hund, der nach meinem und seinem Unfall zum Vampir geworden war, weil Robert ihn mit seinem Blut wieder erweckt hatte.
    Plötzlich war alles wieder da, allerdings immer noch sehr vage.
    »Ja, ich erinnere mich«, sagte ich und hoffte, wieder zur Tagesordnung übergehen zu können, doch die sorgenvollen Blicke von Pfarrer Bernhard und Leif blieben auf mir ruhen.
    »Ich hatte viel Stress in den vergangenen Tagen«, erklärte ich. Beide nickten, und schließlich ließen sie mich in Ruhe und widmeten sich wieder der Zeitung und der Spekulation darüber, was von Bismarck wirklich vorhatte.
    »Wie schon gesagt, ich denke, der Typ ist irre«, sagte Pfarrer Bernhard.
    »Nicht nur irre«, erwiderte Leif. »Tödlich.«
    ***
    Pfarrer Bernhard blieb noch ein paar Stunden, doch ich bekam nicht so viel mit von dem, was die beiden trieben, weil ich mich immer wieder um Kunden kümmern musste. Es war eine Menge los heute, es musste

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