Die Legende
paar Sprüche einfach so erwecken lassen? Das war absurd. Aber für genauso absurd hatte ich früher auch die Existenz von Vampiren in unserer Gesellschaft gehalten, bis sie eines Tages ans Licht kamen.
Mit einem extrem mulmigen Gefühl ging ich schließlich zu Bett.
Wie erwartet, schlief ich wieder schlecht in dieser Nacht. Erst konnte ich kein Auge zumachen, zumal ich von unten noch die Stimmen von meiner Mutter und Viviane wahrnahm. Irgendwann musste meine Mutter Viviane ins Gästebett verfrachtete haben, denn es kehrte Ruhe im Haus ein. Da übermannte mich endlich der Schlaf. Doch ich träumte wieder. Ich sah ein Heer von seelenlosen Kreaturen durch den Ort marschieren, sah wie Menschen, die ich kannte bei lebendigem Leibe gepfählt und verstümmelt wurden. Sah wie meine Mutter über einer Leiche weinte, von der ich zuerst glaubte, es sei die von Isabelle, doch als ich näher trat, erkannte ich sie. Die Tote war ich.
Schweißgebadet wachte ich auf. Das Herz raste in meiner Brust und klopfte bis zum Hals. Meine Hände zitterten, als ich die Bettdecke zurückschlug und die Tür öffnete, um nach unten zu gehen. Das Blut rauschte in meinen Ohren, und nur langsam beruhigte ich mich wieder. Es war ein entsetzlicher Traum gewesen, und ich konnte nur hoffen, dass es keine Vision war. In der Küche ließ ich das Licht aus, um niemanden zu wecken, und tappte zum Kühlschrank, um etwas kühle Milch zu trinken. Damit setzte ich mich an den Tisch. Sie durften den Dämon auf keinen Fall wecken. Wenn mein Traum eine Warnung war, musste ich alles daran setzen, um sie daran zu hindern. Mein Leben stand auf dem Spiel. Meine Hände zitterten noch immer. Und ich musste sogar einen Tinnitus von dem Schrecken davongetragen haben, denn ich hörte im rechten Ohr ein permanentes Knacken. Ich versuchte, das Ohr mit dem Zeigefinger wachzurütteln, doch das Knacken blieb. Es wurde sogar stärker und war nun auch im linken Ohr zu hören. Als mir klar wurde, dass es kein Tinnitus war, sondern von der Haustür herrührte, war es schon zu spät. Die Tür wurde aufgestoßen und jemand kam hereingestürmt. Blitzschnell, so dass ich den Eindringling nicht identifizieren konnte, eilte er durch den Flur.
Ich griff in die Schublade mit den Messern und bewaffnete mich mit dem größten, das ich finden konnte. Dann schlich ich aus der Küche in den Flur. Der Einbrecher kam aus dem Wohnzimmer geeilt und stürmte in den nächsten Raum.
»Halt«, rief ich und streckte das Messer aus. Doch der Kerl – dass es ein Mann war, konnte ich immerhin erkennen – ignorierte mich.
Auch aus dem Schlafzimmer meiner Mutter kam er in höchster Eile wieder heraus. Ich versuchte, ihn festzuhalten, doch er riss sich los. Das Messer schrammte seinen Arm, was ihn überhaupt nicht zu interessieren schien.
»Hilfe!«, rief ich aus voller Lunge. »Einbrecher im Haus!« Er rammte mir mit voller Wucht ein Knie in den Magen, so dass ich zusammensackte, und verschwand im nächsten Zimmer. Doch nun hatte ich ihn erkannt und wusste mit einem Mal, was er gemeint hatte. Kurt musste etwas verlieren, was ihm lieb und teuer war, und das waren weder ein Auto noch ein Pornofilm. Es war Viviane. Und ich konnte ihr momentan nicht helfen, da ich k.o. geschlagen auf dem Boden lag. Doch immerhin hatte mein lauter Ausruf Wirkung gezeigt, denn meine Mutter kam schlaftrunken aus ihrem Zimmer gewankt.
»Was ist hier los?«
Ich hielt mir den Bauch, schnappte nach Luft und, versuchte »Viviane« zu stammeln.
Sie eilte sofort zum Gästezimmer, und ich konnte Schreie und Handgemenge hören, während ich mich langsam wieder aufrappelte. Das Atmen fiel mir immer noch schwer, doch ich konnte wenigstens aufrecht stehen und vorsichtig zu den beiden wanken. Das Messer hatte ich vorsichtshalber mitgenommen. Doch ich benötigte es nicht.
Ich sah Kurt auf dem Boden liegen und sich vor meinen Augen zu zersetzen. Wie im Zeitraffer verfiel sein Körper immer mehr und glich einer seit langem toten Leiche. Irgendwann war gar nichts mehr von ihm übrig.
Meine Mutter stand wie gelähmt neben mir. »Oh mein Gott«, schluchzte sie schließlich unter Tränen, als nur noch etwas Staub von Kurt auf dem Boden lag.
Auch Viviane rührte sich minutenlang nicht. Sie starrte auf das Etwas, das mal ihr Freund gewesen war. In der Hand hielt sie einen blutigen Pflock. Sie hatte ihn getötet.
Doch merkwürdigerweise zitterte ihre Hand nicht. Sie wirkte ganz ruhig.
Ich ging zu ihr und wollte sie in den Arm nehmen,
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