Die Legende
ihren Armen los, glitt aus dem Sattel und fing sie auf, als sie fiel. Ihre Lippen waren blau, das Haar voller Eis. Er legte sie über die Schultern, löste sein Bündel vom Sattel, lockerte den Gurt und trug das Mädchen zu der Kate.
Die hölzerne Tür stand offen. Schnee trieb in das Innere, als er eintrat.
Die Kate hatte nur einen Raum: In einer Ecke unter dem einzigen Fenster stand ein schmales Bett, ansonsten gab es eine Feuerstelle, ein paar einfache Schränke und einen Vorrat an Feuerholz, der an der anderen Wand aufgestapelt war – genug für zwei, vielleicht drei Nächte. Drei rohe Stühle und ein Tisch aus einem Ulmenstamm vervollständigten das Mobiliar. Rek ließ das bewußtlose Mädchen auf das Bett fallen, fand einen Besen und fegte den Schnee aus der Hütte. Er schloß die Tür, doch eine verrottete Angel aus Leder gab nach, so daß die Tür oben wieder einen Spalt offenstand. Fluchend zog er den Tisch zur Tür und stellte ihn gegen den Rahmen.
Rek öffnete sein Bündel, holte seine Zunderschachtel heraus und ging zu der Feuerstelle. Wem auch immer die Hütte gehörte oder wer sie gebaut hatte, er hatte ein fertig aufgeschichtetes Feuer zurückgelassen, wie es in der Wildnis Brauch war.
Aus dem kleinen Beutel holte Rek zerkrümelte trockene Blätter und schichtete sie unter den Zweigen auf den Rost. Er goß etwas Lampenöl aus einer kleinen Lederflasche darüber; dann schlug er seine Feuersteine zusammen. Seine kalten Finger waren ungelenk, und es wollte kein Funke entstehen, also hielt er einen Moment inne und zwang sich, ein paarmal tief durchzuatmen. Dann versuchte er es erneut mit dem Feuerstein, und diesmal entzündete der Funke den Zunder. Er beugte sich vor und blies sanft darauf. Als die Zweige brannten, suchte er kleinere Äste aus dem Vorrat und legte sie behutsam auf das Feuer. Die Flammen tanzten höher.
Er zog zwei Stühle zur Feuerstelle, breitete seine Decken darüber und wandte sich dann dem Mädchen zu. Sie lag auf dem einfachen Bett und atmete kaum.
»Das ist die verdammte Rüstung«, sagte er. Er fingerte an den Bändern ihrer Weste herum, drehte sie dann auf den Bauch und zog ihr die Weste aus. Rasch entledigte er sie ihrer übrigen Kleidung und begann, sie warmzureiben. Er sah nach dem Feuer, legte noch drei Scheite nach und breitete dann die Decke vor dem Kamin aus. Er hob das Mädchen hoch und legte sie so vor das Feuer, daß er ihren Rücken warmrubbeln konnte.
»Stirb mir jetzt nicht!« tobte er und massierte ihre Beine. »Wag es bloß nicht!« Er trocknete ihr das Haar mit einem Handtuch und wickelte sie in die Decken. Der Fußboden war kalt, der Frost drang von unten her in die Kate, also zog er das Bett vors Feuer und hob sie mühsam darauf. Ihr Puls ging langsam, aber gleichmäßig.
Er sah in ihr Gesicht hinab. Es war schön. Nicht im klassischen Sinn, das wußte er, denn die Brauen waren zu dicht und zu dunkel, das Kinn zu eckig und die Lippen zu voll. Aber es lag eine Kraft darin, Mut und Entschlossenheit. Und noch mehr als das: im Schlaf fand eine fast kindliche Sanftheit Ausdruck.
Er küßte sie sacht.
Er knüpfte seine Schaffelljacke zu, schob den Tisch beiseite und trat hinaus in den Sturm. Der Wallach schnaubte, als er näherkam. In dem Unterstand fand sich Stroh. Rek nahm eine Handvoll und rieb damit den Rücken des Pferdes ab.
»Wird eine kalte Nacht, mein Junge. Aber hier drin sollte es dir einigermaßen gutgehen.« Er breitete die Satteldecke über dem Rücken des Pferdes aus, gab ihm etwas Hafer zu fressen und kehrte dann in die Kate zurück.
Das Gesicht des Mädchens hatte bereits eine etwas frischere Farbe, und sie schlief friedlich.
Bei einer Durchsuchung der Schränke kam eine alte Eisenpfanne zum Vorschein. Rek löste die Beutel und die stählerne Feldflasche von seinem Packen, nahm ein Stück getrocknetes Fleisch heraus und begann, Suppe zu kochen. Ihm war jetzt wärmer, und er zog Umhang und Jacke aus. Draußen heulte der Wind, als der Sturm schlimmer wurde, doch drinnen spendete das Feuer Wärme, und weiches, rotes Licht erfüllte die Hütte. Rek zog die Stiefel aus und rieb sich die Zehen. Er fühlte sich gut. Lebendig.
Und verdammt hungrig!
Er nahm einen lederbezogenen irdenen Becher aus seinem Gepäck und probierte die Suppe. Das Mädchen rührte sich, und er spielte mit dem Gedanken, sie aufzuwecken, verwarf ihn jedoch wieder. Wenn sie wach war, war sie ein kratzbürstiges Biest. Sie drehte sich auf die andere Seite und stöhnte und
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