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Die Legende

Die Legende

Titel: Die Legende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Gemmell
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Kunstgriff anwandte. Trotz all seiner Bemühungen fühlte er, wie das Leben ihm zwischen den Fingern zerrann. Noch ein Stich, noch ein kleiner Pyrrhussieg.
    Der Mann starb, als der elfte Stich die Bauchwunde wieder verschloß.
    »Ist er tot?« fragte Virae. Calvar nickte und streckte sich.
    »Aber das Blut fließt noch immer«, sagte sie.
    »Nur noch ein paar Minuten.«
    »Ich habe wirklich gedacht, er würde überleben«, wisperte sie. Calvar wischte sich die blutigen Hände an einem Leintuch ab und ging um den Tisch herum zu ihr. Er legte ihr die Hände auf die Schultern und drehte sie zu sich herum.
    »Seine Chancen standen eins zu tausend, selbst wenn ich die Blutung hätte stillen können. Die Lanze hat seine Milz durchbohrt. Er hätte mit Sicherheit Wundbrand bekommen.«
    Ihre Augen waren rot, das Gesicht aschgrau. Sie blinzelte und zitterte am ganzen Körper, aber es waren keine Tränen zu sehen, als sie auf das tote Gesicht schaute. »Ich dachte, er hätte einen Bart«, sagte sie verwirrt.
    »Das war der davor.«
    »Ach ja. Er ist auch gestorben.«
    »Du solltest dich ausruhen.« Er legte den Arm um sie und führte sie hinaus, an den dichten Reihen der dreistöckigen Kojenbetten vorbei. Helfer und Pfleger bewegten sich lautlos zwischen den Reihen. Überall hing der Geruch nach Tod und der süßliche, übelkeiterregende Verwesungsgestank, der sich mit der antiseptischen Bitterkeit von Lorassiumsaft und heißem, mit Zitronenminze parfümiertem Wasser mischte.
    Vielleicht lag es an dem unangenehmen Geruch, aber Virae stellte zu ihrem Erstaunen fest, daß der Brunnen noch nicht versiegt war und sie noch immer Tränen hatte.
    Er brachte sie in ein Hinterzimmer, füllte ein Becken mit warmem Wasser und wusch ihr das Blut von Gesicht und Händen. Dabei tätschelte er sie sanft, als wäre sie ein Kind.
    »Er hat gesagt, ich würde den Krieg lieben«, sagte sie. »Aber das ist nicht wahr. Vielleicht früher. Ich weiß es nicht mehr.«
    »Nur ein Narr liebt den Krieg«, sagte Calvar. »Oder ein Mensch, der ihn noch nie erlebt hat. Das Problem ist, daß die Überlebenden die ganzen Schrecken vergessen und sich nur noch an die Kampflust erinnern. Sie geben diese Erinnerung weiter, und andere Männer hungern danach. Zieh deinen Mantel über und geh an die frische Luft. Dann wirst du dich besser fühlen.«
    »Ich glaube nicht, daß ich morgen wiederkommen kann, Calvar. Ich bleibe mit Rek auf der Mauer.«
    »Ich verstehe.«
    »Ich fühle mich so hilflos, wenn ich die Männer hier sterben sehe.« Sie lächelte. »Ich mag es nicht, mich hilflos zu fühlen. Das bin ich nicht gewohnt.«
    Er sah ihr von der Tür aus nach. Ihre hohe Gestalt war in einen weißen Mantel gehüllt, das Haar flatterte im Nachtwind.
    »Ich fühle mich auch hilflos«, sagte er leise.
    Der letzte Tod hatte ihn tiefer getroffen, als er sollte, aber er hatte den Mann auch gekannt, wohingegen die anderen nur namenlose Fremde waren.
    Carin, der ehemalige Müller. Calvar erinnerte sich, daß der Mann eine Frau und einen Sohn hatte, die in Delnoch lebten.
    »Wenigstens wird jemand um dich trauern, Carin«, flüsterte er den Sternen entgegen.

25
    Rek beobachtete die hoch über dem Wachturm stehenden Sterne und die vorbeiziehenden Wolken, die sich schwarz vor dem mondhellen Himmel abzeichneten. Die Wolken wirkten wie Klippen am Himmel, schroff und bedrohlich, unausweichlich und eindrucksvoll. Rek riß sich von dem Anblick los und rieb sich die Augen. Er hatte auch früher schon Müdigkeit gespürt, aber noch nie diese Erschöpfung, die die Seele abstumpfte, diese Niedergeschlagenheit des Geistes. Das Zimmer lag im dunkeln. Er hatte vergessen, die Kerzen anzuzünden, so sehr hatte ihn der Nachthimmel in Bann gezogen. Er sah sich um. So offen und einladend der Raum bei Tage war, so düster und leblos wirkte er jetzt. Er kam sich vor wie ein Eindringling. Er zog den Mantel enger um die Schultern.
    Er vermißte Virae, aber sie arbeitete mit dem erschöpften Calvar Syn im Hospital. Dennoch war sein Bedürfnis groß, und er stand auf, um zu ihr zu gehen – und blieb stehen. Fluchend entzündete er die Kerzen. Scheite lagen im Kamin bereit, und so machte er Feuer, obwohl es nicht kalt war. Er setzte sich in den großen Ledersessel und beobachtete, wie die Flammen erst am Zunder entlangzüngelten, bis sie schließlich die großen Scheite erfaßten. Der Nachtwind fachte die Flammen an, so daß die Schatten tanzten, und Rek begann sich zu entspannen.
    »Du Narr«,

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