Die Legende
wie einen Kürbis spaltete.
»Ich denk, du redest zuviel«, sagte Druss. Er fiel auf die Knie und sah, wie das Lebensblut aus ihm herausströmte. Gilad lag neben ihm im Sterben, doch seine Augen waren offen. »Es war gut, gelebt zu haben, was, Junge?«
Um sie herum standen die Nadir, aber niemand bewegte sich. Druss sah auf und deutete auf einen Krieger.
»Du, Junge«, sagte er in ihrer gutturalen Sprache, »hol mir meine Axt.« Im ersten Augenblick rührte der Krieger sich nicht; dann aber zuckte er die Achseln und zog Snaga aus dem Kopf des Herolds. »Bring sie her«, befahl Druss. Als der junge Soldat näher kam, konnte Druss sehen, daß er vorhatte, ihn mit seiner eigenen Waffe zu töten, aber eine Stimme brüllte einen Befehl, und der Soldat erstarrte. Er reichte Druss die Axt und zog sich zurück.
Druss’ Augen verschleierten sich, und er konnte die Gestalt, die vor ihm aufragte, nicht erkennen.
»Du hast gut gekämpft, Todeswanderer«, sagte Ulric. »Jetzt kannst du ruhen.«
»Wenn ich nur noch ein Quentchen Kraft übrig hätte, würde ich dich niederschlagen«, murmelte Druss, sich mit der Axt abmühend. Aber sie war zu schwer.
»Ich weiß. Ich wußte nicht, daß Nogusha seine Klinge vergiftet hatte. Glaubst du mir das?«
Druss senkte den Kopf, und er fiel vornüber.
Druss die Legende war tot.
28
Sechshundert Drenaikrieger sahen schweigend zu, wie sich die Nadir um den toten Druss scharten, ihn behutsam hochhoben und zurück durch das Tor trugen, das er hatte halten wollen. Ulric war der letzte, der das Tor durchschritt. Im Schatten der zerbrochenen Balken drehte er sich um; seine violetten Augen glitten suchend über die Männer auf der Mauer und blieben schließlich an einer Gestalt in Bronze hängen. Ulric hob die Hand wie zum Gruß; dann deutete er langsam auf Rek. Die Botschaft war deutlich genug.
Zuerst die Legende, jetzt der Graf.
Rek antwortete nicht. Er sah nur zu, wie der Kriegsherr der Nadir in die Schatten des Tores trat, bis er außer Sicht war.
»Er hatte einen schweren Tod«, sagte Hogun, als Rek sich umdrehte und auf die Brüstung setzte, um das Visier seines Helmes hochzuklappen.
»Was hast du erwartet?« fragte Rek und rieb sich mit erschöpften Fingern die müden Augen. »Er hatte auch ein schweres Leben.«
»Wir werden ihm bald folgen«, sagte Hogun. »In den Männern, die wir noch haben, steckt kein ganzer Kampftag mehr. Die Stadt ist verlassen. Selbst der Lagerbäcker ist gegangen.«
»Was ist mit dem Rat?« fragte Rek.
»Weg, alle miteinander. Bricklyn müßte in ein oder zwei Tagen mit Nachricht von Abalayn zurückkommen. Ich glaube, er wird eine Botschaft direkt Ulric überbringen, bis dahin sitzt er in der Festung.«
Rek antwortete nicht – es war überflüssig. Es stimmte, die Schlacht war vorbei. Nur das Massaker blieb.
Serbitar, Vintar und Menahem kamen lautlos heran. Ihre weißen Mäntel waren zerrissen und blutverschmiert. Aber sie hatten keinerlei Wunden. Serbitar verbeugte sich.
»Das Ende ist gekommen«, sagte er. »Wie lauten deine Befehle?«
Rek zuckte die Achseln. »Was möchtet ihr, daß ich sage?«
»Wir könnten uns in die Innere Festung zurückziehen«, schlug Serbitar vor, »aber wir haben nicht einmal genug Leute, um diese zu halten.«
»Dann werden wir hier sterben«, entschied Rek. »Ein Ort ist genausogut wie jeder andere.«
»Wohl wahr«, sagte Vintar sanft. »Aber ich glaube, uns bleiben noch ein paar Stunden.«
»Wieso?« fragte Hogun, löste die Bronzespange an seiner Schulter und nahm den Mantel ab.
»Ich glaube, die Nadir werden heute nicht mehr angreifen. Heute haben sie einen wichtigen Mann erschlagen, eine Legende sogar für sie. Sie werden feiern und schmausen. Morgen, wenn wir sterben, werden sie erneut feiern.«
Rek nahm den Helm ab und genoß den kühlen Wind auf seinem schweißnassen Haar. Er atmete tief die klare Bergluft ein und fühlte, wie ihre Kraft durch seine Glieder strömte. Seine Gedanken flogen zurück zu Tagen der Freude, mit Horeb in seinem Wirtshaus in Drenan – Tage, die längst vergangen waren und nie wiederkehren würden. Er fluchte laut; dann lachte er.
»Wenn sie nicht angreifen, sollten wir selbst auch feiern«, sagte er. »Bei den Göttern, man stirbt nur einmal im Leben! Das ist doch ein Grund zum Feiern, oder?« Hogun grinste kopfschüttelnd, aber Bowman, der unbemerkt hinzugetreten war, schlug Rek auf die Schulter.
»Das ist genau meine Sprache«, sagte er. »Aber warum machen wir es dann nicht
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