Die Legende
alter Mann, der niemals senil sein wird. Denn das würde bedeuten, er gibt sich irgendwie geschlagen. Aber Druss gibt sich niemals geschlagen. Niemals ist mir ein Mann von so eisernem Willen begegnet.«
»Du kennst ihn?«
»Ja, ihn und seine Frau Rowena. Ein schönes Kind. Und Druss ist ein Redner von seltenem Talent. Begabt, sogar mehr als Serbitar.«
»Ich habe immer geglaubt, Rowena wäre nur Teil der Legende«, sagte Virae. »Hat er wirklich die Welt durchquert, um sie zu finden?«
»Ja«, antwortete Vintar. Er ließ Virae los und kehrte zu seinem Schreibtisch zurück. »Sie wurde kurz nach ihrer Hochzeit gefangengenommen, als das Dorf von Sklavenjägern überfallen wurde. Er ist ihr jahrelang nachgejagt. Sie waren ein segensreich glückliches Paar. Wie du und Rek, das sollte mich nicht wundern.«
»Was ist mit ihr geschehen?«
»Sie ist gestorben. Kurz nach Skeln-Paß. Sie hatte ein schwaches Herz.«
»Der arme Druss!« sagte sie. »Aber er ist immer noch stark, sagst du?«
»Wenn er starrt, zittern Täler«, zitierte Vintar, »wo er geht, schweigen wilde Tiere, wenn er spricht, wanken Berge, wenn er kämpft, verlöschen Armeen.«
»Aber kann er immer noch kämpfen?« drängte sie.
»Ich glaube, daß er noch ein, zwei Scharmützel überstehen wird«, sagte Vintar unter dröhnendem Gelächter.
7
Nach zwei Tagen war Druss etwa einhundertzwanzig Kilometer von Skoda entfernt und näherte sich mit dem ausgreifenden Schritt der Soldaten den blühenden Tälern am Rande des Skultik-Waldes. Er war noch einen Dreitagesmarsch von Dros Delnoch entfernt, und Anzeichen des kommenden Krieges waren überall zu sehen. Verlassene Häuser, unbestellte Felder, und die Menschen, denen er begegnete, waren wachsam und mißtrauisch gegenüber Fremden. Sie tragen die Niederlage sichtbar wie einen Mantel, dachte Druss.
Von einem flachen Hügel blickte er auf ein nahes Dorf mit etwa dreißig Häusern hinab. Einige der Häuser waren roh gezimmert, andere wiesen eine sorgfältigere Bauweise auf. In der Mitte des Weilers befand sich ein offener Platz mit einem Gasthaus und einem Pferdestall.
Druss rieb sich die Schenkel und versuchte, die rheumatischen Schmerzen in seinem geschwollenen rechten Knie zu finden. Seine rechte Schulter tat ihm weh, aber es war nur ein dumpfes Pochen, mit dem er leben konnte, eine Mahnung an vergangene Schlachten, als ein ventrischer Speer ihn unter dem Schulterblatt getroffen hatte. Aber das Knie! Ohne Rast und einen Eisbeutel würde es ihn nur noch wenige Kilometer tragen.
Er räusperte sich, spie aus und wischte sich dann mit seiner Riesenhand die bärtigen Lippen ab. Du bist ein alter Mann, sagte er zu sich. Es hat keinen Sinn, so zu tun, als wäre das nicht der Fall. Er hinkte den Hügel hinunter zum Gasthaus und überlegte wieder einmal, ob er ein Pferd kaufen sollte. Sein Kopf sagte ja, sein Herz nein. Er war Druss die Legende, und er ritt niemals. Ohne zu ermüden, konnte er die ganze Nacht hindurch wandern und den ganzen Tag lang kämpfen. Es würde die Moral heben, wenn er zu Fuß nach Dros Delnoch hineinmarschiert käme. Die Leute würden sagen: »Bei allen Göttern, der alte Knabe ist von Skoda hierher marschiert.« Und andere würden antworten: »Natürlich. Das ist Druss. Er reitet niemals.« Doch sein Verstand sagte ihm, er solle ein Pferd kaufen und es dann am Waldrand zurücklassen, vielleicht fünfzehn Kilometer vor Dros Delnoch. Wer würde das schon merken?
Die Gaststube war überfüllt, doch der Wirt vermietete auch Zimmer. Die meisten Gäste waren auf der Durchreise, auf dem Weg nach Süden oder nach Westen ins neutrale Ventria. Druss zahlte, nahm einen Beutel voll Eis mit auf sein Zimmer, setzte sich auf das harte Bett und preßte den Beutel gegen das geschwollene Knie. Er war nicht lange in der Gaststube geblieben, aber lange genug, um einige Gespräche mit anzuhören und zu erkennen, daß viele der Männer Soldaten waren. Deserteure.
Er wußte wohl, im Krieg gab es immer Männer, die sich lieber davonmachten als zu sterben. Aber viele der jungen Männer da unten hatten eher demoralisiert als feige gewirkt.
Standen die Dinge in Delnoch so schlecht? Er entfernte das Eis und massierte die Flüssigkeit vom Gelenk. Seine dicken Finger drückten und preßten; er knirschte vor Schmerz mit den Zähnen. Schließlich war er zufrieden, öffnete sein Bündel und nahm ein Stück kräftiger Baumwolle heraus, das er straff um das Knie wickelte. Dann rollte er seine wollenen Beinkleider
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