Die Legende der Alten: Teil 1: Erwachen (German Edition)
hinausziehen, die eingezeichneten Orte suchen. Welche Geheimnisse der Alten mögen dort ihrer Entdeckung harren“, antwortete Houst.
„Dafür dürfte es nach Eurem törichten Geständnis zu spät sein, es sei denn, Ihr schleicht im Schutz der Nacht davon. Ich könnte Euch ungesehen aus der Stadt bringen. Habt Ihr mich deshalb rufen lassen?“, fragte Hem.
„Töricht in der Tat – immerhin vertraue ich auf das Wort von Isi –, doch ebenso notwendig. Aber es geht nicht um mich, Hem, es geht um Nomo. Jemand muss auf sie aufpassen und ich dachte dabei an Euch. Sicher werdet Ihr mir diesen kleinen Gefallen erweisen“, bat Houst.
Hem hob leicht die Augenbraue und schmunzelte. Ein Gesichtsausdruck, den Houst bisher noch nie bei ihm beobachtet hatte. Deshalb konnte er auch nicht abschätzen, ob sich Hem über die kleine Aufgabe freute oder ihn Housts Ansinnen lediglich belustigte.
„Der königliche Geheimdienst spielt gewöhnlich nicht Kindermädchen, auch nicht für die Prinzessin“, sinnierte Hem, „Doch den letzten Wunsch eines Todeskandidaten kann ich wohl nicht verwehren. Da Ihr mich nicht mehr entlohnen könnt, wird sie die Schuld bei mir begleichen müssen. Ihr kennt meine Prinzipien, Gefallen gegen Gefallen. Sie erscheint mir talentiert, ein paar Jahre im königlichen Geheimdienst werden sie auf die Intrigen am Hof vorbereiten“
„Solange sie dabei nicht in einer derart lausigen Kammer hausen muss wie Ihr“, scherzte Houst sichtlich erleichtert.
„Luxus macht nur träge, lenkt von den wesentlichen Dingen ab. Früher oder später verleitet er zu Fehlern, die mancher mit dem Leben bezahlt. Aber keine Sorge, die Prinzessin wird ihre weiche Schlafstatt behalten dürfen. Erbt sie eigentlich Eure Sachen? Diese Karte könnte nützlich sein. Wo befinden wir uns“, entgegnete Hem und beugte sich nach vorn, um die Karte besser überblicken zu können.
„Euren Sinn für Humor mochte ich schon immer“, sagte Houst und wanderte mit dem Zeigefinger einige Konturen entlang, „Hier müsste unsere Stadt liegen, an dieser Linie verläuft die Klippe …“
***
Alle wichtigen Persönlichkeiten – und auch alle, die sich nur für wichtig hielten – waren zur Urteilsverkündung gekommen. Lediglich der Platz von Nomo blieb leer. Und obwohl alle das Urteil bereits ahnten, herrschte eine gewisse Unruhe im Saal. Selbst Housts Befürworter zweifelten kaum, dass er in der Grube enden würde. Doch einerseits diskutierten sie über die Gerechtigkeit eines solchen Strafmaßes – schließlich war der Prinzessin ja kein ernsthafter Schaden entstanden –, zum anderen über die Tragweite die es mit sich brachte. Schließlich wirbelte Housts mehr oder minder freiwilliges Ausscheiden aus dem politischen Spiel die Machtverhältnisse gravierend durcheinander. Das Königreich brauchte einen neuen Großwesir, ein Posten auf den die halbe Elite schielte. Laut Gesetz unterstand der Großwesir zwar dem König, in der Praxis zeigte er sich aber zumeist mindestens ebenbürtig. Selbst wenn es dem König gelänge, einen seiner Unterstützer zu etablieren, ein derart inniges Verhältnis wie zu seinem Bruder würde er zum neuen Großwesir wohl nicht mehr pflegen.
Das Gemurmel im Saal verstummte schlagartig, als die Tribunen eintraten und in würdevoll gemäßigtem Tempo zu ihren Plätzen auf dem Podest schritten. Es war derart still, dass man sogar das leise Knarzen ihrer Sessel hörte, als sie sich setzten. Der Vorsitzende Kolat faltete ein Blatt Papier auseinander, räusperte sich kurz und begann dann zu sprechen.
„Die Entscheidung ist dem Tribunal nicht leicht gefallen, Beweise und Zeugen, die von beiden Seiten vor dieses Tribunal gezerrt wurden, zeigten sich ausgesprochen ambivalent. Die Wahrheit hätten sie uns nur schwerlich offenbart. Doch der Beschmutzte hat letztlich seine Tat gestanden. Das Verbrechen ist eines der schwersten, das wir uns vorstellen können. Die Entführung einer Beseelten. Wie könnte man seinem Leben, seinem Tagwerk nachgehen, in der steten Furcht, gewaltsam aus dessen Mitte gerissen zu werden. Verschleppt an unwirtliche Orte, seelisch und körperlich misshandelt. Eine solche Welt ist nicht die Unsrige. Eine solche Welt soll niemals die Unsrige werden. Aus diesem Grund verurteilen wir den Beschmutzten und alle seine Helfer zum Tode. Sie werden ihrem gemeinen Verbrechen angemessen in die Grube geworfen. Möchte der Beschmutzte noch etwas sagen?“, schloss Kolat seine kleine Rede.
Houst erhob sich und
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