Die Legende der Alten: Teil 1: Erwachen (German Edition)
abwesend und machte nur ab und an eine mehr oder minder passende Bemerkung.
„Das waren damals lediglich zehn Ratten, Telek, und nicht mehrere Hundert. Und selbst diese Begegnung hätten du und deine Brüder beinahe nicht überlebt. Ich erinnere mich, dass ich fast eine Woche brauchte, um euch wieder zusammenzuflicken. Mo lügt einfach“, entgegnete Piri.
„Ich habe die Wahrheit gesagt. Glaubt es oder glaubt es nicht!“, sagte Mo.
Sie zog verächtlich die Mundwinkel nach unten, warf den Kopf leicht in den Nacken und verschränkte die Arme vor der Brust. Ihre Augen glänzen feucht.
„Du stehst hier vor den Ältesten. Ein wenig mehr Respekt wäre angebracht“, rügte Fuzill.
„Respekt? Wofür? Wir bringen dem ganzen Lager Fleisch für Monate und werden dafür angeklagt. Wer bewacht denn nachts das Lager und die Gewächshäuser? Ohne die Nachtjäger wären die Verdammten bald Futter für die Ratten. Und zum Dank macht ihr einen von uns noch zum Dienenden“, antwortete Mo aufgebracht.
„Vor nicht allzu langer Zeit waren alle Nachtjäger Dienende, es war für Jahrhunderte Gesetz! Hochmut steht dir nicht zu, unsere Geduld hat Grenzen“, maßregelte Piri Mo. Dann fügte sie mehr an sich selbst gerichtet hinzu, „Warum haben die Ältesten die Nachtjäger damals nur wieder zu vollwertigen Verdammten gemacht? Man sollte Traditionen nicht leichtfertig aufgeben“
„Das Leben hier in der Einöde ist hart. Wir können es nur gemeinsam meistern. Das verlangt jedem ein gehöriges Maß an Demut ab. Die Gesellschaft der Verdammten baut auf die Erfahrungen aller, auf ihre Traditionen. Die mit den meisten Erfahrungen werden in den Rat der Ältesten gewählt. Wir entscheiden zum Wohle aller Verdammten. Für den Einzelnen mögen diese Entscheidungen manchmal nicht glücklich erscheinen, doch ohne sie könnten wir nicht überleben“, belehrte Dilo.
„Zemal ist ein Nachtjäger, kein Dienender! Das hat er bei der Jagd eindrucksvoll bewiesen. Wenn einer von euch dabei gewesen wäre, würdet ihr es glauben“, entgegnete Mo trotzig.
„Wie ihr seht, macht es überhaupt keinen Sinn, mit ihr zu sprechen. Sie ist keinen Argumenten zugänglich. Was in jener Nacht wirklich passiert ist, werden wir von ihr nicht erfahren. Genauso wenig wird sie unsere Entscheidungen akzeptieren. Sie benimmt sich wie ein bockiges Kind. Ich weiß nicht, was wir mit ihr anfangen sollen“, sagte Piri ernst.
„Aber die anderen haben ihre Schilderungen doch größtenteils bestätigt“, bemerkte Beo.
„Weil sie sich abgesprochen haben. Diese Clique von Nachtjägern hält doch zusammen. Eine Geschichte mehr, mit der sie prahlen können“, antworte Piri.
„Wir haben es nicht nötig, mit irgendetwas zu prahlen. Ihr seid doch nur neidisch auf uns. Oder ihr habt Angst, weil wir so viel besser sind“, schrie Mo.
„Piri hat recht, die Nachtjäger haben sich schon immer für etwas Besseres gehalten. Vielleicht wollen sie sich erneut zu Königen machen. Diese hier reckt den Kopf ja bereits so weit nach oben, als würde sie eine Krone tragen“, sagte Fuzill.
Älteste Beo schüttelte leicht mit dem Kopf. Erst vor sieben oder acht Generationen kippten die Ältesten das Gesetzt, das jeden Nachtjäger automatisch zu einem Dienenden machte. Als die Verdammten in die Einöde verbannt wurden, hatten sich die Nachtjäger zu Herrschern aufgeschwungen. Die Geschichten erzählen von ungeheuerlichen Gräueltaten aus jener Zeit. Es sind die Schauergeschichten, mit denen man Kindern Angst macht. Nach mehr als einem Jahrhundert machte ein blutiger Aufstand der normalen Verdammten dem ein Ende, gegen die schiere Übermacht halfen auch ihre besonderen Fähigkeiten wenig. Danach wurden die Nachtjäger wie Sklaven behandelt, die Familien schämten sich für sie. Dies war der Ursprung der Dienenden überhaupt. Denn auf die Dienste der Nachtjäger konnte die Gemeinschaft zu keiner Zeit verzichten. Brennmaterial war in der Einöde äußerst rar, Fackeln gab es nicht. Wer, wenn nicht die Nachtjäger sollte die Siedlung nachts vor den Wüstenratten schützen. Ihre besonderen Fähigkeiten und der Umstand, dass sie unentbehrlich waren, förderten ihren Stolz. Besonders in jungen Jahren konnte der bisweilen in Arroganz umschlagen. Mo tat sich gerade keinen Gefallen. Und Beo war nicht ganz unschuldig daran. Hätte sie den Aufruhr nicht vorhersehen müssen, als sie Mo zu dieser Jagd anstiftete? Sicher, niemand konnte ahnen, dass die Nachtjäger gleich ein Rudel
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