Die Legende der Alten: Teil 1: Erwachen (German Edition)
langsam gen Horizont sinken und den Aufenthalt im Käfig erträglich machen. Der Käfig war eigentlich eine Maschine der Alten. Außen an einen Giebel der Halle gebaut, fuhr der Käfig in alten Zeiten von unten nach oben und wieder zurück. Oben am Giebel blickte man durch eine große offene Tür auf die Unterseite des halb zusammengefallenen und mit Zeltplanen verhangenen Daches der Halle. Auf der anderen Seite hatte man eine herrliche Aussicht über die Siedlung und weit in die Einöde hinein. Zemal und Mo fehlte mittlerweile jedoch die Muße, diese wirklich zu genießen. Als Nachtjäger, und ohne ein Tuch vor den Augen, waren sie ohnehin vom grellen Licht geblendet. Sie hielten die Augen deshalb die meiste Zeit geschlossen.
Früher diente der Käfig allein zur Meditation, war ein Privileg der Ältesten. In den Morgen oder Abendstunden fuhr einer der Ältesten nach oben, beobachtete still die Siedlung für einige Zeit. Doch einmal fiel eine der Wasserpumpen genau in dem Moment aus, als einer der Ältesten den Käfig einschaltete. Die Ältesten vermuteten einen Zusammenhang und verboten sich selbst seine Benutzung. Der Käfig wurde ein letztes Mal leer nach oben gefahren, der Schalter – da die Ältesten sich selbst nicht so recht trauten – zerstört. Inzwischen ist der Käfig durch die Hitze der Sonne so stark verformt, dass er wohl auch mit funktionierendem Schalter nicht mehr fahren würde. Später bauten die Verdammten aus Steinen eine Treppe nach oben. Weil mit der Treppe jedoch die Exklusivität und Ruhe fehlten – schließlich konnte nun jeder einfach hinaufsteigen –, kam der Käfig bei den Ältesten als Ort der Meditation schnell aus der Mode. Da er aber, neben der Halle selbst, der einzige abschließbare Raum in der Siedlung der Verdammten war, fanden die Ältesten bald schon eine andere Verwendung. So wurden Streitende Verdammte dort zusammen eingesperrt bis sie sich wieder vertrugen. Männer, deren Frauen mit ihnen unzufrieden waren – weil sie ihr ständig widersprachen, oder zu viel vergorenen Süßwurzelsaft getrunken hatten –, landeten ebenfalls im Käfig, ungezogenen Kindern drohte man damit. Derlei Strafmaßnahmen fanden jedoch immer nur vom Abend bis zum nächsten Morgen statt. Lediglich für außerordentlich schwere Vergehen wurde jemand im Käfig der prallen Sonne ausgesetzt, nur in den extremsten Fällen war der oder diejenige dabei nackt. Es kam der Todesstrafe gleich. Zemal und Mo legten die Ältesten nichts Minderes als den Mord am Ältesten Telek zur Last. Telek war seit gestern verschwunden, einige Verdammte hatten ihn noch zu Mo ins Zelt gehen sehen. Dass er dort auch wieder herausgekommen war, bezeugte jedoch niemand. Über Mo waren alle Ältesten bis auf Beo ohnehin verärgert, Teleks Verschwinden ein willkommener Anlass, sie erneut zu bestrafen. Beo allein konnte dies nicht verhindern. Als sich herausstellte, dass sich Zemal während Teleks Besuch ebenfalls im Zelt aufhielt, wurde er einfach mit verurteilt. Zwar hatte er die belanglosen Ereignisse in Mos Zelt geschildert, doch die Aussage eines Dienenden zählte nicht viel. Zumal ihm die Ältesten den Umgang mit Mo verboten hatten und sie damit ein abgekartetes Spiel vermuteten. Älteste Fuzill unterstellte den beiden sogar, den Mord von langer Hand geplant zu haben. Noch immer konnte es Zemal nicht glauben, dass seine Großmutter Piri ihm eine solche Tat zutraute. Älteste Beo hatte seine Verurteilung ins Spiel gebracht, wohl in dem Kalkül, damit die Strafe für Mo abzumildern oder zumindest eine genauere Untersuchung der Umstände von Teleks Verschwinden einzuleiten. Ihr Plan ging nicht auf. Zwar hatte Piri gezögert, wollte Zemal anfangs gar nicht erst vorladen, ihre Abneigung gegen Mo hatte aber schließlich gesiegt. Und so landete er zusammen mit Mo im Käfig, auf unbestimmte Zeit, also bis zum Tod.
Die Sonne war inzwischen untergegangen und der frische Wind der Einöde hatte die Hitze des Tages weggeblasen. Zemal fröstelte, zitterte bisweilen am ganzen Körper, Schlaf fand er so nicht. Der Boden des Käfigs war härter als der Staub in der Einöde, schon nach wenigen Minuten schmerzte jede Stelle mit der man auf ihm lag. Und das Metall, vor Stunden noch zu heiß zum anfassen, war nun eiskalt. Mo hatte sich vor einiger Zeit an Zemal angelehnt, ihre Zähne klapperten bisweilen leise aufeinander. Die beiden dämmerten vor sich hin, Zemals Gedanken kreisten um einen großen Sack mit Wasser. Er dachte, von seiner Reise
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