Die Legende der Alten: Teil 1: Erwachen (German Edition)
einem Raunen im Saal unterbrochen. Soeben hatte sich die Tür geöffnet und Kos wurde – gehalten von zwei Wachen – in den Saal geschleift. Kos Gesicht war aufgedunsen und entstellt, dunkle Flecken von lila bis grün kündeten von alten Blutergüssen, seine Nase war schief und verwachsen. Die Augen schienen das einzige Lebendige an Kos zu sein. Weit aufgerissen wanderte sein Blick wild, geradezu panisch durch den Saal. Der restliche Körper hing schlaff im harten Griff der beiden Wachen. Nur ab und an zog Kos eines der Beine ein wenig nach vorn, die Andeutung eines eigenen Schrittes. Er trug saubere Kleidung, die ein wenig weit ausfiel. Einer Maskerade gleich, verdeckte sie die Verbände und Schienen, die ihm der Heiler in den letzten Tagen angelegt hatte. Doch der jämmerliche Zustand, in dem sich Kos befand, war nicht zu übersehen. Die meisten der Anwesenden Beseelten stierten erschrocken, einige Frauen hatten die Hände an ihren Mund gepresst. Nomo entwich ein kurzer Schrei, einige Tränen sammelten sich in ihren Augen. Selbst der Vorsitzende Kolat hob skeptisch seine Augenbrauen.
„Ist das Euer Zeuge?“, fragte er Kirai.
„Ja hohes Tribunal, dies ist der kleine Dieb, der die Prinzessin erst ausgeraubt und dann entführt hat. Während der Verhöre hat er bereits gestanden, seine Befehle direkt vom Großwesir Houst empfangen zu haben. Damit steht fest, dass der Beschmutzte für die Entführung seiner eigenen Nichte verantwortlich ist“, verkündete Kirai stolz.
„Ich nehme an, er ist während der Verhöre lediglich unglücklich die Treppe hinuntergefallen. Ansonsten könnte man annehmen, seine Wunden stammten von Eurer Gastfreundschaft. Wie alt ist er? Zehn? Ein Kind in diesem Zustand würde auch behaupten, es sei gestern mit seiner Großmutter durch die leuchtenden Städte der Alten lustgewandelt“, ätzte der König.
„Er ist ein Dieb und Entführer. Mitleid ist nicht angebracht, Verbrecher müssen mit der ganzen Härte rechnen. Nur mit warmen Worten entlockt man diesem verlogenen Abschaum keine Wahrheiten“, entgegnete Kirai scharf.
„Die Wahrheiten möchte ich aus seinem Mund hören. Wie heißt du“, fragte der König.
Kos fixierte den König für einen kurzen Moment, öffnete den Mund. Ein Glucksen entwich ihm. Er versuchte es erneut, vor Anstrengung lief sein Gesicht rot an.
„…siksa“, quetschte er heraus.
„Siksa?“, fragte der König.
„Lasikosa, sein Name ist Lasikosa, kurz Kos, Vater“, mischte sich Nomo ein.
Sie war inzwischen aufgestanden. Am liebsten hätte sie Kos eigenhändig aus dem Saal geführt.
„Ruhe! Der Zeuge muss selbst sprechen“, sagte Kolat.
„Aber er ist zu schwach…“, begann Nomo.
„Prinzessin!“, schnitt ihr Kolat noch einmal das Wort ab.
Nomo setzte sich wieder hin und verschränkte die Arme vor der Brust. Wie konnten sie ein Kind nur so quälen? Sicher, er hatte geholfen, sie zu entführen, aber er blieb immer noch ein Kind. Erschrocken dachte sie an Kex, der ebenfalls in Kirais Kerker saß. Sah Kex genauso aus wie Kos? Kirai war ein Monster, dachte sie, sie würde niemals seine Frau werden.
„Kennst du meinen Bruder, den Großwesir Houst?“, fragte der König Kos.
Kos schüttelte nur leicht mit dem Kopf.
„Er lügt!“, schrie Kirai und machte einen Schritt auf Kos zu.
Kos riss seine Augen noch weiter auf, zum Zurückweichen fehlte ihm die Kraft. Er stöhnte hörbar auf und nickte dann mehrfach.
„Wie Ihr seht, führt Freundlichkeit nur zu neuen Lügen. Ich habe die Aussage des Zeugen aufgeschrieben. Wenn das hohe Tribunal sie als Beweis zulassen würde … Dann müssen wir uns nicht noch mehr Lügen anhören“, sagte Kirai.
Der Vorsitzende Kolat winkte Kirai zu sich. Den Kopf hoch erhoben schritt Kirai die Treppe zum Podest hinaus. Mit leicht zitternder Hand reichte er Kolat einige Bögen Papier. Dieser übernahm die Schriftstücke und überflog die erste Seite. Kirai drehte sich um und ging zu seinem Platz zurück. Auf dem Weg dorthin, traf sich sein Blick mit dem von Houst. Der Anflug eines Lächelns huschte über Kirais Gesicht.
„Der Zeuge muss seine Aussage vor dem Tribunal machen, so ist es Gesetz“, bemerkte Houst.
„Die Tribunen benötigen keine Unterweisung vom Beschmutzten“, sagte Kolat ernst und legte dabei Kirais Schriftstücke zur Seite, bevor er an Kirai gewandt weitersprach, „ Es bedarf der persönlichen Aussage des Zeugen vor dem Tribunal. Dazu ist er aber ganz offensichtlich nicht in der Lage. Ich
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